Derivatehandel und Spekulation auf Nahrungsmittel

Youtube User Anfrage zu Jürgen Klutes Videostatement

Eine Anfrage von „Mr.Wolfgang10“ auf dem Youtube Kanal der LINKEN im Europäischen Parlament lautete: „Die haben meiner Meinung nach keine Ahnung. Lebensmittelspekulationen sind gut und es ist empirisch nicht nachgewiesen, dass da zu höheren preisen führt. Wenn man einen Future kauft dann muss man ihn auch wieder verkaufen und das drückt den Preis. Das hat auch unser Professor so gesagt.“  

 

Hierzu Jürgen Klute:   Es stimmt zwar, dass es keinen klaren Beweis gibt, dass die Spekulation auf Lebensmittel nicht mit verantwortlich ist für die extremen Preisschwankungen der letzten Jahre – es gibt aber andererseits auch keinen Beweis, dass sie es nicht ist, stattdessen jedoch zahlreiche deutliche Hinweise dafür, dass die Spekulation die Preisausschläge zumindest verstärkt und mit verantwortlich ist für tendenziell steigende Preise.  So weist zum Beispiel eine umfassende Studie der UNCTAD (http://unctad.org/Templates/Download.asp?docid=15048〈=1&intItemID=1397), der UN-Organisation für Handel und Entwicklung, nach, dass sich an den Lebensmittelmärkten durch die erheblich steigende Zahl von Finanzmarktakteuren neue Preisbildungsmechanismen entwickeln, die bislang in erster Linie von den Finanzmärkten bekannt sind. Stichwort ist das so genannte „Herding“: Finanzmarktakteure zeichnen mit ihrem Verhalten die Preisentwicklung nach und verstärken damit den jeweiligen Preistrend. Zudem, so die Studie weiter, würden durch die wachsende Bedeutung rohstoffunterlegter Anlagen – also von Titeln, denen als Sicherheiten physische Rohstoffe oder Lebensmittel beigegeben sind – dem Markt Rohstoffe und Lebensmittel entzogen. Das wiederum führt notwendigerweise zu steigenden Preisen. Dadurch wiederum wird die Anlage in Indexfonds profitabler, spekulieren doch diese Fonds auf steigende Preise, der Lebensmittelmarkt wird somit für künftige Spekulation interessanter. In einer Studie des Bremer Volkswirts Hans Bass (http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/media/pdf/Studien/FINAL_WHH_2011-04-08.pdf) und in vielen anderen wird deutlich, dass durch das Anlageverhalten von Indexfonds – Rollieren bei Fälligkeit, also die Umwandlung alter Verträge in neue – beständig eine neue Nachfrage geschaffen wird. Diese ständig steigende Nachfrage stößt jedoch auf ein kaum beeinflussbares Angebot: die Ackerflächen können nicht unmittelbar ausgeweitet werden, die Ernten nicht in Wochen- oder gar Tagesfrist der Nachfrage angepasst werden, Preissprünge sind die logische Folge. Und schließlich hilft ein Blick auf die Statistiken, um eines der zentralen Argumente zu widerlegen, dass die Schwankungen an den Rohstoff- und Lebensmittelmärkten auf „Fundamentaldaten“, also Angebot und Nachfrage der physischen Rohstoffe zurückzuführen seien. Häufig wird die Preisentwicklung bei Lebensmitteln zum Beispiel mit der steigenden Nachfrage in China und Indien erklärt. Dies ist sicher ein Faktor, der zu tendenziell steigenden Preisen beiträgt, er erklärt aber nicht den massiven Absturz der Lebensmittelpreise im zweiten Halbjahr 2008 – und auch andere starke Schwankungen kann dies nicht erklären. Ebenso wenig können die Fundamentaldaten erklären, warum der Rohölpreis Ende 2008/ Anfang 2009 nach einem Absturz von rund 140$ auf etwa 40 $ anstieg, lange bevor die Konjunktur sich erholte und die Nachfrage nach Öl wieder anstieg. Spekulation auf Lebensmittelmärkten ist in erster Linie für diejenigen gut, die in Indexfonds und börsengehandelte Rohstoffzertifikate investieren. Die großen Verlierer sind dagegen Menschen in den armen Ländern des Südens, denn, wie die frühere deutsche Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul sagte: „Für jeden Prozentpunkt Preisanstieg steigt die Zahl der Menschen, die vom Hunger bedroht sind, um 16 Millionen“