Mitfühlender Sozialabbau
Mit einem »Green New Deal« für Griechenland wollen Europaabgeordnete der Grünen innovativ erscheinen. Hauptsächlich unterstützen sie aber den von der EU erzwungenen »Sparkurs«
Engagierter Einsatz für »Multikulti« war bislang ein Markenzeichen der Partei Die Grünen. Beim Griechen lecker essen gehen, ein paar Ouzo trinken, zum Klang der Bouzouki tanzen – das gefiel nicht nur der »grünen« Parteichefin Claudia Roth. Mit solcherart europäischer Völkerverbrüderung will zumindest eine Grünen-Politikerin nichts mehr zu tun haben: die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Christine Scheel. Lange vor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte sie schon, Griechenland notfalls aus der Europäischen Währungsunion zu werfen: »Als Ultima ratio muß die Exitoption bleiben, sonst könnte jedes beteiligte Land den Euro in tiefe und lange Krisen stürzen« (Handelsblatt vom 16.2.2010). Scheel stellte zudem klar: »Finanzhilfen für ein verschuldetes Euroland darf es nur geben, wenn gleichzeitig ein striktes Sparprogramm vereinbart und auch wirksam überprüft wird.« Die grüne Frontfrau toppte so die von Konservativen und Liberalen ins Leben gerufene Kampagne »Bestraft Griechenland!«
Die politische Rechte nimmt Portugal, Italien, Griechenland, Spanien insgesamt ins Visier, die von ihr diskriminierend als »PIGS« bzw. als »Club Med« bezeichnet werden. Diese »Weichwährungsländer« hätte man damals nicht in die Europäische Währungsunion hineinlassen dürfen, lamentieren sie. Sie gefährdeten mit ihrer »Rekordverschuldung« die Stabilität des Euro. Harte Sparauflagen müßten her, sollten diese Länder von den anderen EU-Mitgliedsstaaten Solidarität oder gar Finanzhilfen fordern.
Wir wissen nicht, was die Parteiführung der Grünen zu all dem denkt. Immerhin haben sich aber linke Parteimitglieder wie der Europaabgeordnete und ehemalige ATTAC-Sprecher Sven Giegold dezidiert zu Wort gemeldet. Scheels Forderung nach einem Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone lehnt Giegold entschieden ab. In einem Beitrag für das Neue Deutschland vom 26.Februar 2010 schließt er sich aber der Entrüstung von Konservativen und Liberalen über »die Griechen« an: »Steuerhinterziehung als Volkssport«, Korruption, gefälschte Statistiken – so lauten die Stichworte.
Immerhin erhielt Griechenland als einziges der 20 EU-Mitgliedsländer, gegen die Defizitverfahren eingeleitet wurden, nicht nur den üblichen »blauen Brief« aus Brüssel, sondern es wurde sofort das verschärfte Verfahren nach Artikel 126 (9) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU eingeleitet, nach dem das Land unter eine strikte Haushaltsüberwachung durch die EU-Kommission gestellt wird und im nächsten Schritt gleich finanzielle Sanktionen folgen können.
In einem Interview vom 17. Februar mit ntv.de relativierte Giegold noch Griechenlands Schuld an statistischer Schönfärberei: Brüssel habe lange Bescheid gewußt, Bilanztricksereien hätten auch andere Länder inklusive Deutschland begangen, und insofern würden jetzt »Krokodilstränen vergossen«. Wie wahr. Was rechtfertigt nach seiner Meinung aber dann das harte Vorgehen der EU ausschließlich gegen Griechenland: »moralisches Fehlverhalten« der griechischen Regierungen vor Amtsantritt des Sozialdemokraten Giorgos Papandreous oder das hohe Haushaltsdefizit von 12,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts?
Die wirtschaftlichen Ursachen für die zweistelligen Defizite nicht nur Griechenlands, sondern auch anderer EU-Länder sind unter Ökonomen kaum umstritten. Sie setzten in der Vergangenheit auf »Bubblenomics«, eine Mischung aus kreditfinanziertem inländischem Verbraucherboom, expandierenden Finanzmärkten und einer Vermögensinflation durch explodierende Immobilienpreise, die ihre Bauwirtschaft vorantrieb. Korruption und schwacher Steuervollzug mögen zwar zum Wachstum des griechischen Haushaltsdefizits beigetragen haben – aber es läßt sich nicht hauptsächlich aus diesen Faktoren erklären. Nach dem Platzen der Spekulationsblasen schossen in den »Bubblenomics«-Ländern überall die staatlichen Defizite raketengleich in die Höhe, weil die Regierungen Banken retten und die Konjunktur stützen mußten:1 z.B. in Spanien (11,4 Prozent), Großbritannien (12,6), Irland (14,7), Lettland (12), Portugal (9,3). Drei von ihnen hatten vor 2008 sogar ausgeglichene Haushalte (GB) oder Überschüsse (Spanien, Irland).
Europäische Ungleichgewichte
In einem im März veröffentlichten Beitrag der grünen Europaabgeordneten Sven Giegold, Rebbecca Harms und Reinhard Bütikofer (»Griechische Krankheit« oder europäische Krise) beziehen diese in einer Reihe von Fragen durchaus vernünftige Standpunkte. Der Handel mit Kreditausfallversicherungen (CDS) und ähnlichen Finanzprodukten, die zur Spekulation gegen den Zusammenhalt der Euro-Zone eingesetzt werden, soll ausgesetzt werden. Die EU soll gemeinschaftliche Euro-Bonds auflegen, um die erhöhten Risikoaufschläge mit einem Schlag zu beseitigen, die Staaten wie Griechenland, Spanien, Italien usw. für ihre Staatsanleihen einräumen müssen.
Euroländer mit chronischen Leistungsbilanzüberschüssen wie Deutschland, Österreich und die Niederlande sollen diese abbauen und auf die Entwicklung ihrer Binnenwirtschaft und Binnennachfrage umschalten. Noch deutlicher wird am 8. März bei Spiegel-online der finanzpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Gerhard Schick: Europa brauche ein Verfahren, »das im Ernstfall auch die Gläubiger zur Kasse bittet und das Ausdruck auch der Solidarität in Europa ist«. Hier klingt der alte Vorschlag des Ökonomen John Maynard Keynes zu den Verhandlungen von Bretton Woods nach dem Zweiten Weltkrieg an, wonach auch die Überschußländer als Gläubiger für die von ihnen gegebenen Kredite Positivzinsen zahlen müssen. Dies soll sie dazu motivieren, ihre Leistungsbilanzüberschüsse abzubauen.
Mit einiger Berechtigung sprechen Giegold, Harms und Bütikofer an, daß Athens Leistungsbilanzdefizit von rund zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts auf die Dauer nicht tragbar sei. Als Griechenland 1981 der damaligen Europäischen Gemeinschaft beitrat, erwirtschaftete es noch Überschüsse. Seine Leistungsbilanz drehte vor allem nach dem Beitritt zur Euro-Zone (2001) immer rasanter ins Minus. Obwohl die statistischen Schummeleien der damaligen sozialdemokratischen Regierung durchaus bekannt waren, hießen sowohl Brüssel als auch Berlin den Euro-Beitritt Athens willkommen. Er bot vor allem deutschen Unternehmen und der deutschen Exportwirtschaft die Gelegenheit zur Expansion in Griechenland ohne Wechselkursrisiken.
Lidl, Saturn und Media-Markt überzogen das Land mit immer neuen Filialen, die deutsche Auto- und Maschinenbauindustrie exportierte kräftig, die deutsche Telekom übernahm die staatliche Telefongesellschaft. Für Griechenlands Industrie und Dienstleistungssektor ergaben sich als Ausgleich zunächst Expansionschancen auf dem Balkan. Doch auch hier werden sie inzwischen von deutscher und anderer Konkurrenz stark bedrängt. Eindeutig Gewinn von Griechenlands Eurobeitritt zog nur der »Exportweltmeister« Deutschland.
»Innere Abwertung« als Lösung
Giegold, Harms und Bütikofer empfehlen, daß Griechenland seine Lohnstückkosten senken müsse. Giegold wird in seinem Beitrag im bereits erwähnten ND-Artikel deutlicher: »Dazu muß Griechenland seine Kosten senken. Das wird ohne Lohnsenkungen kaum gehen. Sie müssen so gestaltet werden, daß die einkommensschwächsten Gruppen der Bevölkerung möglichst verschont bleiben. Das entspricht einer Abwertung der Währung, die für Griechenland mit dem Euro nicht möglich ist. Denn eine Abwertung ist nichts anderes als eine Senkung der Reallöhne.« Griechenland könne so seine Wettbewerbsfähigkeit stärken – EU-Kommissionspräsident José Barroso hätte es nicht besser ausdrücken können.
Giegold will die einkommensschwächsten Gruppen geschont sehen – die große Mehrheit der Normalverdiener aber schon nicht mehr, wie er im ntv-Interview feststellt: »Die Einsparungen, die Griechenland vornehmen muß, werden äußerst schmerzhaft sein, gerade für die Normalbevölkerung.« Der Durchschnittsverdienst griechischer Erwerbstätiger liegt zwischen 700 und 900 Euro im Monat. Viele müssen zwei oder drei Jobs ausüben, um ein solches Einkommen erzielen zu können. Dieser Durchschnittswert wird durch sehr hohe Einkommen von Spitzenverdienern noch verzerrt. Rund 20 Pozent der griechischen Bevölkerung leben zudem in Armut. Die Lebenshaltungskosten in Griechenland sind hingegen ähnlich hoch wie in Deutschland.
Im Kern empfehlen die Europaabgeordneten der Grünen also eine Strategie der »inneren Abwertung« mit Lohn und Preissenkungen – und das Gleiche dürfte dann ja auch die angemessene Medizin für andere Euro-Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten sein, wie Spanien, Portugal usw. Wohin das führt, ist z.B. in Lettland zu besichtigen (siehe jW-Thema vom 24.3.2010), das schon seit Anfang 2009 von EU und IWF gezwungen wird, eine solche Strategie zu verfolgen – steigende Erwerbslosigkeit und Armut, Zusammenbruch großer Teile der Wirtschaft, sogar Vollzeiterwerbstätige stehen inzwischen in Scharen bei den Suppenküchen an.
Flassbecks »symmetrische Politik«
Eine etwas andere Rechnung machte Mitte Februar in der Wochenzeitschrift Freitag der Ökonom Heiner Flassbeck auf: »Wenn Deutschland jetzt seine Löhne über 15 Jahre jedes Jahr um fünf Prozent steigen ließe, und in den Staaten Südeuropas bei unveränderter Produktivität im gleichen Zeitraum die Löhne um nur zwei Prozent stiegen, würde sich die Lücke schließen. Deutschland würde darunter aber nicht leiden. Es würde bis 2025 immer noch Marktanteile gewinnen.«
Flassbeck argumentiert auf Basis einer »symmetrischen Politik« (dauerhafte Lohnsteigerungen in Deutschland, Dämpfung des Anstiegs der Lohnstückkosten an der EU-Südperipherie) mit dem offiziellen Inflationsziel der EZB von zwei Prozent als Anker. Der Chefökonom des IWF, Olivier Blanchard, hat dieses Inflationsziel kürzlich als zu restriktiv gegeißelt und eine Obergrenze von vier Prozent vorgeschlagen. Das ergäbe deutlich mehr Spielraum. Und etwas präziser formuliert, müßten auch die südlichen EU-Länder den verteilungsneutralen Spielraum in der Lohnpolitik (Ausgleich von Produktivitätssteigerung und Inflationsrate) ausschöpfen können, während die deutsche Lohnpolitik für eine längere Periode deutlich darüber hinaus gehen müßte. Dies bedeutete dann keineswegs Lohnsenkung für die EU-Mittelmeerstaaten und andere, wie Giegold meint.
Eine solche Solidarität mit der Süd- und Ostperipherie der EU wäre nicht selbstlos und mit Opfern für die deutschen Normalverdienenden verbunden – im Gegenteil. Der so auch lohnpolitisch kooperativ flankierte Abbau von Leistungsbilanzüberschüssen der einen und der Leistungsbilanzdefizite der anderen würde eine Win-win-Konstellation für die Lohnabhängigen beider Regionen schaffen. Das deutsche Kapital müßte allerdings deutliche Abstriche bei seinen Profiten hinnehmen, was angesichts jahrzehntelanger Umverteilung von unten nach oben gerechtfertigt ist.
Das Austeritätsprogramm der griechischen Regierung wird von Giegold, Harms und Bütikofer als zu unsozial kritisiert – allerdings etwas halbherzig: »Klar ist, daß allein Ausgabenkürzungen im Lohn- und Sozialbereich – so nötig sie im einzelnen sind– eine solche Rückführung (des Haushaltsdefizits– K.D.) nicht ermöglichen.« Sie fordern Einsparungen im Militärhaushalt (er beträgt 4,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts), eine Vermögensabgabe für Wohlhabende, Erhöhung der Einnahmen durch Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerbetrug, die Kappung der Zulagen von »Gutverdienenden« im öffentlichen Dienst.
Der Erfolg makroökonomischer Politik hängt aber erheblich von ihrem Wirken in konkreten, kalkulierbaren Zeiträumen ab. Da sind die Vorschläge des grünen Dreigestirns nicht sonderlich realitätstüchtig. Seit ihrer Regierungsbeteiligung in den Jahren von 1998 bis 2005 dürften auch sie wissen, daß Einsparungen im Militärhaushalt eher eine langfristige Angelegenheit sind, weil eingegangene vertragliche Verpflichtungen nicht so leicht aufzulösen sind. Ein besserer Steuervollzug spielt ebenfalls eher mittel- und langfristig Einnahmen ein.
Wenn man wie die drei Autoren aber daran festhält, daß Griechenland in 2010 über vier Prozent seines Bruttoinlandsprodukts – das aktuell avisierte Sparvolumen beläuft sich inzwischen auf 6,3 Milliarden Euro – und in 2011 dann nochmals deutlich über fünf Prozent an Ausgabenkürzungen realisieren soll, dann wird dies nur mit einem höheren Anteil von Kürzungen im »Lohn- und Sozialbereich« realistisch zu erreichen sein. Insofern vergießen sie Krokodilstränen über Papandreous unsoziale Sparpolitik.
Antizyklische Politik
Einen »Grünen New Deal« für Griechenland wollen die drei erwirken, indem die Auszahlung von EU-Strukturfondsmittel antizyklisch vorgezogen werden soll. Sie belaufen sich für die Förderperiode von 2007 bis 2013 für Griechenland auf insgesamt 20,4 Milliarden Euro, also rund vier Milliarden Euro jährlich für die nächsten drei Jahre. Dafür muß Griechenland aber erstens eine Kofinanzierung bereitstellen und soll andererseits bis 2012 etwa zehn bis zwölf Milliarden Euro an Kürzungen erbringen. Eine solche Roßkur in kürzester Zeit führt voraussichtlich zu einer Entwicklung, die unter Ökonomen als »Schuldenparadox« bekannt ist: Das Zurückschrauben öffentlicher Investitionen und Leistungen, Lohnsenkungen und Mehrwertsteuererhöhungen lassen die Nachfrage noch rapider einbrechen. Die Steuereinnahmen gehen weiter zurück, und gegen die dadurch entstehenden neuen Haushaltslöcher muß nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt mit erneuten Kürzungen »angespart« werden. Die Schulden werden aber letztlich so nicht abgebaut. Sehr überzeugend für das Projekt eines »Grünen New Deal« via EU-Strukturmittel wirkt das nicht.
Tapfer fordern die drei Europaabgeordneten eine Europäische Wirtschaftsregierung mit einer »effektiv koordinierten antizyklischen Fiskalpolitik«, einem erhöhten EU-Budget auf Basis eigener Einnahmen der EU zum Ausgleich regionaler Entwicklungsunterschiede sowie eine verstärkte Steuerkooperation in Europa. Konkreteres dazu ist in ihrem Beitrag aber nicht mehr zu erfahren.
In ihrem Bundestagswahlprogramm 2009 hatte ihre Partei vermerkt, daß sie mit dem »Grünen New Deal« »Zukunftsinvestitionen vorziehen und die ökologischen und sozialen Schwächen unserer Wirtschaftsordnung beseitigen« wollten. »Die Schulden, mit denen wir jetzt die Krise bekämpfen, sind einzig und allein dann gerechtfertigt, wenn damit für die künftigen Generationen eine eindeutige Zukunftsrendite verbunden ist«, hieß es. Zwar etwas verschwiemelt, aber dennoch klar erkennbar, traten die Grünen für schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme in der Krise ein.
Zur EU merkten sie an: »Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muß Anreize zum Sparen in wirtschaftlich guten Zeiten setzen, im Gegenzug dazu aber auch zur Abwendung einer Krise einen größeren finanzpolitischen Spielraum lassen. Die derzeitige De-facto-Aussetzung des Stabilitätspaktes durch die EU-Kommission ist daher richtig, aber aus der Not geboren.«
Wir befinden uns auch nach Einschätzung der Grünen immer noch nicht in »wirtschaftlich guten Zeiten«. Und dies gilt erst Recht für Griechenland, dessen Nationalökonomie in 2010 weiter schrumpft. Den Stabilitäts- und Wachstumspakt so lange auszusetzen, bis die wirtschaftliche Stagnation überwunden ist, den Mitgliedsstaaten deutlich längere Fristen zum Schuldenabbau einräumen– wenigstens dies wäre nach Programmlage der Grünen geboten. Giegold, Harms und Bütikofer sind aber für die Anwendung des eigentlich kritisierten Stabilitäts- und Wachstumspakts mitten in der Krise, also für prozyklische Politik: »Eine enge Überwachung angemessener haushaltspolitischer und struktureller Maßnahmen Griechenlands durch die EU-/Euro-Gruppe ist gerechtfertigt und geboten, inklusive der Androhung von Strafmaßnahmen (z.B. Aussetzung der Zahlung von Strukturfondsmitteln) bei Nichtbefolgung.« Die irischen Grünen exekutieren als Juniorpartner der konservativen Fianna Fáil in der Regierung eine knallharte Deflations- und Sozialabbaupolitik in Irland, um das Defizit zu drücken. Darüber spricht man nicht gerne in grünen Kreisen.
Mit dem Konzept des »Grünen New Deal« konnten sich die Grünen 2009, am Ende der großen Koalition, wieder ein Image von geschärfter ökologischer Kompetenz und sozialer Verantwortung mit Augenmaß zulegen. Ihre Mittäterschaft an der Agenda 2010 machten sie damit weitgehend vergessen. Jetzt schlägt das Pendel bei ihnen offenbar wieder in die andere Richtung aus. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Fritz Kuhn, fordert einen »konsequenten Sparkurs der Euroländer«. Das will auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU): Zwischen 2011 und 2016 soll der Bundeshaushalt jährlich um mindestens zehn Milliarden Euro beschnitten werden. Giegold, Harms und Bütikofer plädieren für etwas mehr soziale Ausgewogenheit beim Kürzen. Sie geben sich als »Compassionate greens«, als Mitfühlende der Opfer der »leider unvermeidlichen« Sparpolitik.
Einschnitte nach dem Muster der Agenda 2010 ist demnach alles, was prominente Grüne flügelübergreifend der EU-Peripherie noch in Aussicht stellen. Woher sollen aber dann die massiven Zukunftsinvestitionen kommen, die für einen »Grünen New Deal« benötigt würden? Sicher nicht von der europäischen Privatwirtschaft, die weiter in der Flaute steckt. Der »Grüne New Deal« ist offenbar nur etwas für die reicheren EU-Länder, die im globalen Wettbewerb mit Elektroautos und anderen angeblich umweltschonenden Produkten »wieder die Nase vorn« haben sollen, wie es in Programmen der Grünen so schön heißt.
Kein klares Wort der Solidarität
Für die Gegenwehr von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Griechenland, Spanien und Portugal finden die grünen Europaabgeordneten kein klares Wort der Solidarität. Ihre Sorge gilt mehr der Akzeptanz des Austeritätskurses: »Noch unterstützen mehr als 60 Prozent der Griechinnen und Griechen die angekündigten Sparmaßnahmen der Regierung. Es ist im Interesse und der Verantwortung der EU, diese Sympathien nicht zu verspielen.« Das »Volk von Steuersündern« muß nun leider büßen, hinein ins Fegefeuer mit ihnen. Im Umkehrschluß heißt das: Die Kredite der deutschen und französischen Banken und Lebensversicherern, die einen großen Teil von Griechenlands Staatsschuld ausmachen, müssen voll bedient werden.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske ist somit der einzige prominente Grüne, der eine elementare Gegenposition zur Kampagne von Medien, Konservativen und Liberalen bezieht: »Rauf mit dem Rentenalter, runter mit Löhnen und Gehältern, Kürzungen im Gesundheitswesen – mit einer solchen Schockstrategie würgt man die Konjunktur ab und versucht, die Auswirkungen von Krise und Spekulation den Beschäftigten und sozial Schwachen dauerhaft aufzubürden. ( ) Wir sind an der Seite der griechischen Beschäftigten, wenn sie sich gegen die aufgezwungenen Maßnahmen und die Eingriffe in ihre Tarifverträge wehren«, erklärte er zu den Protestaktionen in Griechenland. Dafür zolle ich ihm Respekt und Anerkennung.
1 Vgl. Klaus Dräger/Andreas Wehr, Die EU und die Krise: »Die ewige Wiederkehr des Gleichen«; Download | PDF (1,1 MB)
Klaus Dräger ist Mitarbeiter der Linksfraktion (GUE/NGL) im Ausschuß für Beschäftigung und soziale Fragen(EMPL) des Europäischen Parlaments