EU-Wirtschaftsregierung: Wer wen?

Klaus Dräger für "Neues Deutschland"

Erschienen am 26.03.2010: „Kann ein Europäischer Währungsfonds für mehr Stabilität in Europa sorgen?“

Jahrzehntelang haben deutsche Regierungen beim Ruf nach einer europäischen Wirtschaftsregierung abgewinkt. Jetzt in der Wirtschafts- und Finanzkrise kann sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Begriff offenbar anfreunden. Die EU-Kommission und die Regierungen sind einverstanden: In punkto EU-Wirtschaftsregierung soll der Rat der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union das Heft in der Hand haben und künftig mit monatlichen Tagungen den Kurs vorgeben. Das Europäische Parlament als direkt gewählte EU-Instanz ist außen vor, die Kommission soll eine dienende und beratende Rolle spielen. Das demokratische Defizit der EU bleibt also bestehen.
Die EU-Wirtschaftsregierung soll alle 27 EU-Mitgliedstaaten ins Visier nehmen und sich nicht nur auf eine »besser abgestimmte« Wirtschaftspolitik in der Eurozone beschränken. Im Zentrum steht zunächst eine Ausstiegsstrategie aus den kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen, die der Europäische Rat Ende 2009 beschloss. 20 der 27 EU-Staaten haben bereits die »blauen Briefe« aus Brüssel erhalten und sollen ihre Haushaltsdefizite durch drastische Einsparungen bis spätestens 2013 unter drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) drücken. Fast alle EU-Mitgliedstaaten – ob sozialdemokratisch-, konservativ-liberal- oder rechts-regiert – haben bereits Maßnahmen zu teils heftigen Einschnitten ergriffen.
Ein weiteres Thema für die EU-Wirtschaftsregierung ist der Abbau von außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten innerhalb der EU. Auf der einen Seite plädieren etwa Frankreich und Spanien für einen »symmetrischen Ansatz«: Länder mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen wie Deutschland müssten diese durch eine stärkere Entwicklung ihrer Binnenwirtschaft und Binnennachfrage abbauen, während die Defizitländer durch Modernisierung, Produktivitätssteigerung und geringere Lohnstückkosten diese allmählich zurückfahren. Die Anpassungslast würde so gleichmäßiger auf Defizit- wie Überschussländer verteilt.
Davon will die deutsche Bundesregierung aber nichts wissen. Merkel fordert einen »asymmetrischen Ansatz«: EU-Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten wie Spanien, Portugal, Griechenland oder einige osteuropäische EU-Staaten sollen eine Strategie der »inneren Abwertung« fahren. Sie sollen Preise und Lohnstückkosten senken, Arbeitsmärkte weiter deregulieren und den Sozialstaat »abspecken«, um so »wettbewerbsfähiger« zu werden. Die Last der wirtschaftlichen »Anpassung« hätten also die Defizitländer alleine zu tragen.
Allerdings will auch die deutsche Exportindustrie durch weitere Kostensenkungsprogramme ihren Wettbewerbsvorteil ausbauen. Wie in der Vergangenheit dürfte es den Defizitländern somit schwer fallen, zu Deutschland aufzuschließen. Der Vorschlag, einen Europäischen Währungsfonds (EWF) für die Eurozone zu schaffen, schlägt in dieselbe Kerbe. Der EWF soll Finanzhilfen für strauchelnde Mitgliedstaaten der Eurozone an die Erfüllung strikter Auflagen nach Art der Strukturanpassungsprogramme des IWF knüpfen.
Vermutlich handelt es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver. Angela Merkel verlangt, dass zur Einrichtung des EWF der EU-Vertrag geändert werden müsse. Das wollen aber eine Reihe anderer EU-Staaten nicht. Ob die EWF-Idee ernsthaft weiter verfolgt wird, ist unsicher.
Die deutsche Bundesregierung pocht darauf, ihr »Exportweltmeister-Modell« gegen alle Widerstände fortzuführen. Mit ihrem durch den Lissabon-Vertrag deutlich gestärkten Gewicht im Rat will sie vor allem durchsetzen, dass andere Länder Kostensenkungsprogramme durchführen. Damit ließe sich die Hierarchie von Wertschöpfungsketten und Fertigungstiefen in Europa (verlängerte Werkbänke deutscher Unternehmen in Ost- und Südeuropa) wieder vertiefen, mit der die deutsche Exportweltmeisterstrategie siegreich immer mehr Marktanteile zu Lasten anderer EU-Länder eroberte.
Streit gibt es auch um die wirtschaftspolitische Strategie »EU 2020«, welche die bisherige Lissabon-Strategie ablösen soll. Merkel fordert: Die darin empfohlenen Investitionen in Forschung und Entwicklung, Bildung, Klimaschutz etc. sollen nur soweit vorangetrieben werden, dass der beschlossene Schuldenabbau dadurch nicht gefährdet wird. Eine »Politisierung« von EU 2020 zwischen den Polen Wachstumsförderung versus zügiger Schuldenabbau soll laut Merkel vermieden werden.
Wer wen? Jenseits des allseits geforderten Schuldenabbaus stehen Frankreich und die EU-Südländer gegen den deutschen Zuchtmeister. Wer sich durchsetzen wird, das ist die Frage.
»Wer wen?« hat aber auch noch eine andere, eher klassenpolitische Dimension. Nicht für anderer Schulden aufkommen (No bail out) gilt in der EU bekanntlich für die Staaten untereinander. Private Unternehmen und Banken wurden aber vorm bevorstehenden Krisenkollaps durch Milliardenhilfen aus Steuermitteln bewahrt. An den daraufhin explodierenden Staatsschulden verdienen nun dieselben Banken, die zuvor vor den Folgen ihrer Fehlspekulationen gerettet wurden. Um Kredite zu bedienen, sollen Lohnabhängige und Rentner nun noch einmal geschröpft werden und sozialstaatlichen Schutz und Leistungen verlieren.
Die von der EU angestrebte Rosskur – Abbau der Defizite von über 10 Prozent des BIP innerhalb von zwei bis drei Jahren bei anhaltender wirtschaftlicher Stagnation – führt voraussichtlich zu einem erneuten Rückfall in die Rezession. Das Zurückschneiden öffentlicher Investitionen und Leistungen, Lohnsenkungen und Mehrwertsteuererhöhungen lassen die Nachfrage noch rapider einbrechen. Die wirtschaftliche Erholung gelingt nicht, die Steuereinnahmen gehen weiter zurück. Gegen die dadurch entstehenden neuen Haushaltslöcher muss nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt mit erneuten Kürzungen »angespart« werden. Die Schulden werden aber letztlich so nicht abgebaut, der Teufelskreis von Krise und steigender Armut und Erwerbslosigkeit geht weiter. Die Befolgung des Stabilitätspakts führt so zu mehr Instabilität in Europa. Das EU-Projekt wird gegen die Wand gefahren.
Artikel in „Neues Deutschland“ vom 26.03.2010: „Kann ein Europäischer Währungsfonds für mehr Stabilität in Europa sorgen?“