„Ethische Grundsätze in kolonialer Manier“
Leserbrief von Gabi Zimmer, DIE LINKE, an DER SPIEGEL zum Artikel „Glücklos im Mangrovensumpf“ Heft 3/2010
Sehr geehrte Damen und Herren,
in Ihrem Artikel setzen Sie sich auch mit dem Bau eines gigantischen Stahlwerks durch ThyssenKrupp in Brasilien auseinander. Leider beschränken Sie sich dabei auf eine rein wirtschaftliche Analyse dieser Fehlinvestition. Nachdem ich zu diesem Thema im November 2009 eine Anhörung im Europäischen Parlament mit Opfern dieses Projektes durchgeführt habe, liegt es mir am Herzen, Sie und Ihre Leser auf die tatsächliche Dimension der durch dieses Projekt ausgelösten Tragödie hinzuweisen.
Der Bauplatz, die Bucht von Sepetiba, ist eine Region reich an kultureller und sozialer Vielfalt. Neben Mangrovenwäldern finden sich hier auch Restbestände des Atlantischen Urwalds – ein ökologisches Welterbe. Die zum großen Teil indigene Bevölkerung lebt überwiegend von Kleinfischerei und aus Einnahmen aus dem Tourismus. Als Folge des Großprojektes wird durch die Verschmutzung der Fischbestand drastisch reduziert. Die Einnahmequelle Tourismus versiegt. Die Menschen werden hohen Schadstoffbelastungen ausgesetzt. Fischer und indigene Bevölkerung haben ihren Widerstand gegen dieses Projekt organisiert. In der Folge werden ihre Sprecher und deren Familien durch zum „Schutz“ der Baustelle angeheuerte Milizen bedroht. Einige mussten bereits aus der Region fliehen und leben getrennt von ihren Familien im Rahmen eines Schutzprogramms der brasilianischen Regierung. Für öffentliche Anhörungen wurden offensichtlich bezahlte Befürworter aus anderen Regionen per Bus organisiert.
Auf der Baustelle kommen vorwiegend von Subunternehmen angeheuerte Arbeiter aus anderen Teilen Brasiliens und anderen Ländern zum Einsatz. In umliegenden Gemeinden entstanden für deren Unterbringung Slums. Arbeitsverträge wurden meist auf drei Monate begrenzt, um Festeinstellungen zu vermeiden und die Erpressbarkeit hoch zu halten. Lohnzahlungen blieben mitunter sogar ganz aus.
Nicht nur der wirtschaftliche Sachverstand der Unternehmensleitung scheint aus dem Zeitalter der Dinosaurier zu stammen, sondern auch die ethischen Grundsätze, derer sich ThyssenKrupp in kolonialer Manier bedient.
Ich würde mich freuen, wenn DER SPIEGEL diesem skandalösen Bauvorhaben eine komplette eigene Recherche widmen würde.
In der Anlage sende ich Ihnen eine ausführliche Darstellung der von mir benannten skandalösen Vorgänge zu, die sich auf Arbeiten der Rosa-Luxemburg Stiftung stützt. Die Fischer haben inzwischen auch direkte Kontakte zum Betriebsrat von ThyssenKrupp und zu kritischen Aktionären aufgenommen.
Mit freundlichen Grüßen,
Gabi Zimmer
Anlage:
Rechtsverletzungen, die von der Companhia Siderúrgica do Atlântico – TKCSA (Thyssen Krupp und Vale) in der Bucht von Sepetiba, in Rio de Janeiro, Brasilien begangen wurden(Download pdf 815kb)
Autorin: Karina Kato, Instituto Políticas Alternativas para o Cone Sul – PACS