Armes Europa
Achtzig Millionen Menschen leben in Europa offiziell in Armut. Statt konkreter Maßnahmen setzt die EU auf Marketing und erklärt das Jahr 2010 öffentlichkeitswirksam zum »Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung«.
Im März 2000 wollte die damalige portugiesische Ratspräsidentschaft die Staatsund Regierungschefs der EU auf das Ziel verpflichten, bis 2010 die Armut in der EU zu überwinden. So weit wollten diese aber nicht gehen. Sie beschlossen als gemeinsame Zielvorgabe für die EU , »die Beseitigung der Armut entscheidend voranzubringen«.
Dies ist nicht gelungen – seit 2000 ist die Armut in der EU weiter gestiegen. 80 Millionen Menschen in der EU gelten offiziell als arm, darunter 19 Millionen Kinder. Sie verfügen über weniger als 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittseinkommens. Es wird erwartet, dass die Zahl der Armen als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise weiter zunimmt. Statt ihre bisherige Tatenlosigkeit kritisch zu bearbeiten und umzusteuern, hat die EU mit großem Pomp 2010 zum »Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung« ausgerufen. Seminare, Konferenzen und Hochglanzbroschüren sollen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf soziale Missstände in der EU lenken.
Die Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) hält nicht viel von den scheinheiligen offiziellen Aktivitäten zum Europäischen Jahr. Seitens der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten ist nicht viel mehr zu erwarten als das Lob der bestehenden sozialen Sicherungssysteme und vage Absichtserklärungen. Mit den »Europäischen Märschen gegen Erwerbslosigkeit« organisierten wir im November 2009 die Konferenz »Stand Up Against Poverty Now!«. Daran nahmen auch Gewerkschafter und ewerkschafterinnen, Aktive aus den europäischen Netzwerken EAPN, SOLIDAR, Eurochild und ENAR, ATTAC und dem »Weltmarsch der Frauen« teil. Gemeinsam verfolgen wir das Ziel, unsere Aktionen für das Jahr 2010 weiter zu vernetzen und zu koordinieren.
Was wir fordern:
Auf europäischer Ebene fordern wir verbindliche Schritte der EU und der Mitgliedstaaten hin zu einem Europa ohne Armut:
– die europaweite Durchsetzung von Mindestlöhnen, die mindestens 60 Prozent der jeweiligen nationalen Durchschnittslöhne betragen sollten;
– europaweite Mindesteinkommen in der Höhe von mindestens 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittseinkommens;
– Beseitigung der Kinderarmut in der EU und als ersten Schritt ihre Reduzierung um 50 Prozent bis 2012;
– Beseitigung der Obdachlosigkeit von Erwachsenen und Jüngeren (Straßenkindern) bis 2015;
– Ausbau von und kostenloser Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen (medizinische Versorgung, Bildung – von der Kinderkrippe bis zur Universität, ÖPNV etc.) vor allem für besonders gefährdete Gruppen.
– Die Mitgliedstaaten sollen diese Zielvorgaben innerhalb einer bestimmten Frist erreichen.
Des Weiteren fordern wir:
– die Senkung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf maximal 40 Stunden
ohne Ausnahme in der EU-Arbeitszeitrichtlinie. Die Mitgliedstaaten dürfen ihr Ziel nicht erreichen, die wöchentlichen Arbeitszeiten zu verlängern, denn Niedriglöhne und lange Arbeitszeiten sind zwei Seiten derselben Medaille;
– den sozialen Einschluss der Roma und die Beendigung der rassistischen Ausgrenzung;
– die Legalisierung und soziale Einbindung der 8 Millionen Menschen in der EU, die ohne Papiere leben. Schnellstens müssen europaweite Regelungen für eine gesicherte medizinische Versorgung gefunden werden.
Der europäische Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung darf sich nicht allein auf die Bekämpfung von Erwerbslosigkeit beschränken und sollte gleichzeitig über den europäischen Tellerrand hinausgehen.
Wir wollen so das Europäische Jahr 2010 nutzen, um neue Ansätze der sozialen und demokratischen Teilhabe zu entwickeln und europäische und globale Widerstände zu organisieren. Die Ansätze im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung wollen wir so überdenken und fortentwickeln.
Dieser Artikel ist in der europaROT Ausgabe Dezember 2009 erschienen.
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