Schlechter als sein Ruf

Sabine Wils für "Neues Deutschland"

Mit der Wiederwahl Barrosos zum Präsidenten der Europäischen Kommission bleibt die EU weiter auf neoliberalem Kurs
Sabine Wils für die „Brüssler Spitzen“ im Neuen Deutschland

Seit diesem Mittwoch hat die Europäische Kommission einen neuen, alten Vorsitzenden: Mit 382 Stimmen (219 Gegenstimmen und 117 Enthaltungen) sprachen sich die Europaabgeordneten erneut für José Manuel Barroso aus. Die Europaabgeordneten der Europäischen Linksfraktion GUE/NGL stimmten gegen ihn.
Insbesondere das Verhalten der Sozialdemokraten in der Frage Barroso ist ein Armutszeugnis – hatte die SPD doch im Europawahlkampf noch gemeinsam mit den Gewerkschaften eine grundlegende soziale Neuausrichtung der EU gefordert. Die SPD versprach dem DGB, nur einen Kommissionspräsidenten zu wählen, der sich klar für eine soziale Fortschrittsklausel in den EU-Verträgen einsetzt. Barroso will dies bekanntlich nicht tun. Mitglieder der sozialdemokratischen EP-Fraktion gaben Barroso heute ihre Stimme und begingen Wortbruch gegenüber den Gewerkschaften.
Die Entscheidung des Rats und nun auch der Mehrheit des Europäischen Parlaments stellt die Weichen für den europäischen Integrationsprozess in den kommenden fünf Jahren – wohin der gehen soll, hat Barrosos Kommission bereits in den letzten Jahren deutlich gezeigt: Die Entfesselung des EU-Binnenmarktes durch Flexibilisierung und Liberalisierung ging einher mit der Zerstörung des europäischen Sozialmodells. Die 2005 erneuerte Lissabon-Strategie verschärfte den Wettbewerb und beschleunigte den Kostensenkungswettlauf. Auch die Dienstleistungsrichtlinie, durch die bestehende soziale Standards und arbeitsrechtliche Schutznormen der Mitgliedstaaten ausgehebelt werden, geht auf Barrosos Konto. Darüber hinaus wurden Militarisierung, Abschottung der Außengrenzen und Profitmaximierung auf Kosten der Umwelt weiter vorangetrieben – so in Kürze die Bilanz der bisherigen Arbeit der Kommission.
Statt die Menschen in Europa gemeinsam aus der Krise heraus zu führen erleben wir eine immer tiefere soziale Spaltung: Die wohlhabenden Mitgliedstaaten haben Zeit, ihre Defizite dank schuldenfinanzierter Rettungsaktionen für Banken und Industrie abzubauen, während osteuropäische Länder unter Kuratel des IWF (Internationaler Währungsfonds) gestellt werden und tief in der Rezession stecken bleiben.
Vergangene Woche begab sich Barroso ins Europäische Parlament, um mit seinen „Politischen Richtlinien für die nächste Kommission“ um Zustimmung bei den Abgeordneten zu werben. In blumigen Worten wird da die soziale Dimension Europas heraufbeschworen, werden rhetorische Zugeständnisse an die Wunschliste der Sozialdemokraten gemacht. Im Kern bleibt es aber bei dem Hohelied auf die Allmacht neoliberaler Wirtschaftspolitik, ganz so, als habe diese nicht zur weltweiten Finanzkrise beigetragen. Die sozialen Folgen – massiver Arbeitsplatzabbau, steigende Armut weltweit – möchte Barroso weiterhin mit längst überholten Rezepten angehen: Wohlstand, so glaubt er, braucht zukünftig noch mehr Binnenmarkt: „Die Kommission wird unnachgiebig für den Binnenmarkt als Eckstein der Verträge eintreten und alles in ihrer Macht stehende tun, um ihn zu verteidigen…“ Auf unbequeme Fragen nach Einhaltung der Klimaziele, nach europaweiter Abrüstung, oder etwa nach der Verankerung einer sozialen Fortschrittsklausel blieb Barroso bei seinem Besuch in der GUE/NGL Fraktion eine Antwort schuldig. Der Markt soll es richten.