Neoliberale Agenda

Sabine Wils für "Junge Welt"

EU-Kommissionspräsident Barroso wiedergewählt, auch von Sozialdemokraten. Dabei steht er für die Zerstörung des europäischen Sozialmodells und die Militarisierung der Union
Artikel von Sabine Wils, erschienen in: Junge Welt, 17.09.2009

Mit einer Mehrheit von 382 Stimmen hat sich das Europäische Parlament dafür ausgesprochen, daß der bisherige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso auch der zukünftige sein soll. 219 Abgeordnete, unter ihnen die der Linken, stimmten am Mittwoch gegen ihn. 117 Parlamentarier enthielten sich. Eine wirkliche Wahl hatte das Parlament aber nicht. Es konnte der vorangegangenen Benennung durch den Rat, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU, nur zustimmen oder sie ablehnen. Die Möglichkeit, einen eigenen Kandidaten vorzuschlagen und darüber abzustimmen, hatte es nicht. Mit der Entscheidung des Rats vom 18. Juni 2009 für Barroso war die Weiche längst gestellt. Dieses Verfahren unterstreicht einmal mehr den Mangel an Demokratie in der EU.Die Festlegung von Rat und Parlament auf Barroso ist ein Bekenntnis für die Fortsetzung des verhängnisvollen Kurses der Liberalisierung und Flexibilisierung des EU-Binnenmarkts. Unter seiner Präsidentschaft war die Europäische Kommission in den letzten fünf Jahren treibende Kraft bei der Zerstörung des europäischen Sozial­modells, der Militarisierung der Union und der Unterordnung ihrer umweltpolitischen Ziele unter die Interessen der Konzerne.Mit der 2005 erneuerten Lissabon-Strategie wurde der gnadenlose Kostensenkungswettlauf und Standortwettbewerb sowohl innerhalb der EU als auch in der Weltwirtschaft verschärft. Es war die von Barroso geführte Kommission, die die Dienstleistungsrichtlinie gegen alle Widerstände durchpaukte. Mit ihrer Hilfe werden bestehende soziale Standards und arbeitsrechtliche Schutznormen der Mitgliedsstaaten ausgehebelt. In der Arbeitsmarktpolitik verbindet sich das »Flexicurity-Konzept« von Kommission und Rat mit wachsender Unsicherheit, verschlechterten Arbeitsbedingungen, niedrigen Löhnen sowie steigender Lohnkonkurrenz.Die Barroso-Kommission trägt einen gewichtigen Teil der Schuld am Ausbruch und der Schwere der Finanzmarktkrise. Zahlreiche Initiativen des Europäischen Parlaments zur Stärkung der Aufsichtsgremien wurden von ihr zurückgewiesen. In den besonders von der Krise betroffenen osteuropäischen Mitgliedsländern betätigt sich die Europäische Kommission heute, Arm in Arm mit dem Weltwährungsfonds, als brutaler Haushaltssanierer auf Kosten der sozialen Rechte der Bevölkerung und des verbliebenen Sozialstaats.Eindeutig negativ ist auch die Entwicklung in der Außen- und Sicherheitspolitik: In den letzten fünf Jahren ging der Aufbau von EU-Battlegroups zügig voran, und die Europäische ­Union beteiligt sich weltweit an zahlreichen militärischen Einsätzen.Schon allein aufgrund dieser verheerenden Bilanz kam für die Fraktion der Europäischen Linken eine Zustimmung zu Barroso nicht in Frage. Um jeden Zweifel an seinen zukünftigen Absichten zu zerstreuen, hatte der Kandidat »Politische Leitlinien für die nächste Kommission« vorgelegt. Sie sind so nebulös und floskelhaft, daß selbst die Barroso ansonsten wohlgesinnte Frankfurter Allgemeine Zeitung sie als »langatmiges Programm« von »Allgemeinplätzen und Phrasen« verriß.Sieht man allerdings genauer hin, so finden sich hinter all diesen wolkigen Formulierungen sehr wohl die harten Inhalte einer klassischen neoliberalen Agenda wieder. Ausdrücklich wird das Flexicurity-Konzept gerühmt, das schon bisher für die Deregulierungen in der Arbeitsmarktpolitik stand. Mehr Wohlstand in der EU bedeutet auch zukünftig für Barroso vor allem mehr Binnenmarkt: »Die Kommission wird unnachgiebig für den Binnenmarkt als Eckstein der Verträge eintreten und alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihn zu verteidigen, da er die beste Gewähr für lang anhaltenden Wohlstand bietet«, heißt es in den Leitlinien. In der Umweltpolitik bedeutet für Barroso Nachhaltigkeit vor allem, »daß wir den Rhythmus der Reform beibehalten, daß wir unsere Fertigkeiten und Technologien auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Märkte von morgen ausrichten, daß wir modernisieren, um mit dem sozialen Wandel Schritt zu halten«. Der Markt soll es also auch hier richten. Ebensowenig wird in der Außen- und Sicherheitspolitik die Richtung gewechselt. Zukünftig soll es nur zügiger bei der Durchsetzung europäischer Weltmachtinteressen vorangehen. Barroso setzt dabei auf neue Abkommen: »Der Vertrag von Lissabon vermittelt uns, wenn er ratifiziert wird, das Instrumentarium, um eine neue Ära der weltweiten Projektion europäischer Interessen einzuleiten. ( )«Die europäischen Sozialdemokraten enttäuschten bei dieser so wichtigen Richtungsentscheidung über die künftige Kommission auf ganzer Linie. Dem neoliberalen Konzept von Barroso setzten sie keinen ernsthaften Widerstand entgegen. Im Gegenteil: Im Europäischen Rat wurde Barroso auch von den sieben sozialdemokratischen Staats- und Regierungschefs nominiert. Und im Europäischen Parlament stimmte eine Reihe sozialdemokratischer Abgeordneter, vor allem aus Portugal, Spanien und Großbritannien, für ihn. Einige votierten wohl gegen ihn, aber ein Großteil der Fraktion, und hier vor allem die SPD-Abgeordneten, enthielt sich.Noch im Europawahlkampf waren kämpferische Töne von der SPD zu hören gewesen. Da hieß es in einem gemeinsamen Positionspapier mit dem DGB etwa vollmundig: »Die SPD und der DGB mit seinen Mitgliedsgewerkschaften setzen sich für eine Klarstellung im EU-Primärrecht dergestalt ein, daß weder wirtschaftliche Grundfreiheiten noch Wettbewerbsregeln Vorrang vor sozialen Grundrechten haben. ( ) Eine Klarstellung zugunsten sozialer Grundrechte im EU-Primärrecht ist die zentrale Anforderung von SPD und dem DGB mit seinen Mitgliedsgewerkschaften an die neue EU-Kommission und ihren Präsidenten.«Davon ist jetzt keine Rede mehr, der DGB wird im Regen stehengelassen. Mit Barroso als neuem Kommissionspräsidenten wird es keine Initiative für eine »soziale Fortschrittsklausel« geben.