Krisenbewältigung in der EU nicht zulasten der Ärmsten
Lothar Bisky, frisch gewählter Vorsitzender der Linksfraktion im Europaparlament, kündigt an, den vertrauensvollen Arbeitsstil seines Vorgängers in diesem Amt, Francis Wurtz, fortsetzen zu wollen. Die Fraktion müsse bereits Angeschobenes weiterführen: den Kampf gegen die Arbeitszeitrichtlinie, für Verbraucherschutz, für einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen, für eine solidarische Außenhandelspolitik. Die Linke werde Sozialdemokraten und Grüne nicht aus ihren Wahlkampfversprechungen entlassen. Er sieht eine Chance, mit beiden im Europaparlament ein Gegengewicht zu den erstarkten Konservativen und Rechten aufzubauen. Auch einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsident kann sich Bisky vorstellen.
Ein wenig mehr als zwei Wochen nach der Europawahl hat Dich die neue Linksfraktion in Brüssel bereits zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Verglichen mit anderen Entscheidungsprozessen in der EU legt die Linke ein Wahnsinnstempo vor.
In diesem Falle ist es nicht die Linke allein, die temporeiche Entscheidungen vorgelegt hat. Andere Fraktionen waren genauso schnell. Das Europäische Parlament will handlungsfähig sein, immerhin haben sich die Regierungschefs und –chefinnen auf eine Zustimmung zu Barrosos zweiter Amtszeit geeinigt, nur geht dies nicht ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Zum anderen steht der Wechsel der Ratspräsidentschaft an und dies ist immer mit einem vollmundigen Arbeitsprogramm verbunden, zu dem sich das Parlament in Beziehung setzen muss. »Taking the challenge« lautet die Überschrift der Schwedischen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte. Die Wirtschaftskrise, wachsende Arbeitslosigkeit, aber auch der Klimawandel brauchen politische Antworten. Und die Iren sind aufgefordert, noch mal über Lissabon abzustimmen. Es geht erneut um die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union.
Wurde Dein Integrationstalent in Brüssel bereits gefordert?
Nun, die Fraktion ist kleiner als erhofft. Das heißt zuerst und auch in Zukunft gemeinsam die Kräfte der unterschiedlichen linken Parteien in Europa zu bündeln. Zugleich kann die allgemeine Hoffnung z. B. gegenüber der wachsenden deutschen Linken bei einer recht großen Delegation dann auch mal konkret in Befürchtungen umschlagen. Es geht um eine Integration besonderer Art, eine, die deutlich macht, dass man – egal wie groß die Delegation ist -, solidarisch miteinander umgeht. Wir sind die einzige konföderale Fraktion im Europaparlament und sollten unbedingt an den vertrauensvollen Arbeitsstil anknüpfen, der unter Vorsitz meines Vorgängers Francis Wurtz gepflegt wurde. Die Fraktion hat eine Mitverantwortung für die Konsolidierung der linken Kräfte, die in dieser Legislatur nicht im Europaparlament vertreten sind und auch für linke Parteien aus osteuropäischen Ländern, die nicht Mitglied der EU sind.
Viel Zeit zur Selbstfindung hat die neue Fraktion ja auch nicht. Europa steht angesichts der internationalen Krise vor gewaltigen Herausforderungen. Mit welchen Initiativen wird die neue Fraktion nach der Konstituierung des Parlaments am 14. Juli ihre fünfjährige Arbeit beginnen?
Wir müssen dort weitermachen, wo wir wichtige Sachen angeschoben haben: beim Kampf gegen die Arbeitszeitrichtlinie, beim Verbraucherschutz, bei einer Verantwortung für einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen, bei Schritten zu einer solidarischen Außenhandelspolitik, bei abrüstungspolitischen Klarheiten. Wir haben ein ehrgeiziges Wahlprogramm und die Plattform der EL, und wir haben klar gesagt: Die Linken werden in Europa eine Politik der Krisenbewältigung machen, in der nicht Ärmsten die Zeche bezahlen und der Klimaschutz noch ein bisschen warten muss. Wir müssen uns fachpolitisch schnell einfuchsen, denn zum Beispiel die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik oder die Haushaltsreform werden die kommende Legislatur prägen, und da kann linke Politik nicht stumm bleiben.
Ein Projekt für DIE LINKE und die GUE/NGL ist auch das Vorantreiben einer Charta der gemeinschaftlichen Güter, die rechtlich verankert müsste. Damit würden wir für unsere Forderung des Ausbaus der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Verteidigung der öffentlichen Dienstleistungen neue verbindliche Grundlagen schaffen. Damit wäre auch Rekommunalisierung einfacher. Solche Rahmensetzungen schafft man nicht von heute auf morgen, aber man muss damit anfangen. 2010 wird die Lissabon-Strategie neu ausgerichtet, dafür wäre solch eine Charta ein kluger Beitrag. Hier sehe ich auch große Möglichkeiten, um mit Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften zusammenzuarbeiten.
In ganz Europa sind aus den Wahlen am 7. Juni konservative und rechte Parteien gestärkt hervorgegangen. Inwieweit gibt es zwischen der jetzt 35 Abgeordnete zählenden Linksfraktion einerseits und Grünen und Sozialdemokraten andererseits überhaupt Anknüpfungspunkte, um im Europaparlament ein Gegengewicht zu Konservativen und Rechten aufzubauen?
Vor der Wahl hatte ich ja schon deutlich gesagt, dass wir die Sozialdemokraten und die Grünen nicht aus ihren Bekenntnissen zu einer sozialen Fortschrittsklausel entlasse, die sie vollmundig in den Wahlkampf gerufen haben. Da sind Anknüpfungspunkte und wir werden Druck machen. Auch hörte man oft genug, dass Steueroasen ausgetrocknet werden sollen und uns nur eine andere Geldpolitik aus der Krise führt. Jetzt ist die Chance – auch hier mehr für Beschäftigung und den sozial-ökologischem Umbau zu tun.
Alle drei Fraktionen haben angekündigt, Barroso nicht zu wählen. Kannst Du Dir einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vorstellen?
Warum nicht, wenn er nicht Barroso heißt und wenn er dafür stünde, marktradikale Politik zu beenden und eine soziale und friedliche Europäische Union voranzubringen.
Quelle: www.die-linke.de