Was ich an Europa nicht verstehe
Kolumne für den Oranienburger Generalanzeiger
Als ich mich 1999 als Kandidat für die Europawahl bewarb, bestand die Europäische Union aus 15 Mitgliedstaaten. 2004 kamen zehn weitere hinzu, seit 2008 sind es 27 und mehrere Kandidatenländer stehen mit großen Hoffnungen vor der Tür. Sie wollen an dem Integrationsprojekt teilnehmen, das seit 50 Jahren zwischen seinen Mitgliedern den Frieden gesichert und Solidarität erwachsen lassen hat.
Zugleich wollen immer weniger Menschen in der EU und gerade auch in Deutschland ihr demokratisches Recht zu wählen wahrnehmen. Meine Enttäuschung darüber ist nicht der Eitelkeit geschuldet (immerhin ist die Arbeit eines Europaabgeordneten kein Kinderspiel). Sie besteht vielmehr darin, dass es den Regierungen und Parteien offenbar nicht gelingt, die Bürgerinnen und Bürger in europapolitische Überlegungen einzubeziehen.
In der öffentlichen Debatte liegt der Fokus oft viel zu sehr auf dem kompliziert zu durchschauenden Institutionengefüge, einem recht abstrakten Vorwurf der Bürokratisierung (der nur teilweise berechtigt ist) und einigen wenigen Skandalen. Natürlich ist Transparenz und Aufklärung darüber sehr wichtig und es gibt dabei noch viel zu tun. Aber vor allem müsste viel häufiger und vor allem rechtzeitiger über europäische Gesetzesvorhaben diskutiert werden.
Zum Beispiel hat es Monate gedauert, bis in Deutschland angefangen wurde, Kritik an der Richtlinie über grenzüberschreitende Dienstleistungen zu üben. Über den Entwurf eines Verfassungsvertrags wurde so richtig erst gesprochen, als ihn bereits zwei Staaten abgelehnt hatten. Die verheerenden Urteile des Europäischen Gerichtshofs über Mindestlohn und Streikrecht fanden zwar Medienecho – aber wo war die Auseinandersetzung zu dem Zeitpunkt, als die Entsenderichtlinie (d. i. die Rechtsgrundlage, auf der entschieden worden ist) ausgearbeitet wurde? Also: Fragen Sie Ihre Kandidatinnen und Kandidaten nach ihren konkreten europapolitischen Vorhaben. Am besten noch in den verbleibenden zwei Wochen vor der Europawahl.
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