Brandstifter als Feuerwehr

Auszüge aus einem Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen in „Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung“, Heft 78 (Juni 2009)

(Auszüge aus einem Artikel von Sahra Wagenknecht, der in der Juniausgabe von „Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung“ erscheint.
„Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andre werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine sog. ‚Stützungsaktion‘, bei der alle, bis auf den Staat, gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, daß die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr.“
(Kurt Tucholsky, 1931)
Die Wall Street liegt in Trümmern. Die einst so mächtigen US-amerikanischen Investmentbanken gibt es nicht mehr; sie wurden verkauft, gingen Bankrott oder wurden in Geschäftsbanken umgewandelt. Offenkundig wurde das Marktversagen im Sommer 2007, als mit dem Interbankenhandel ein wichtiger Nerv des globalen Finanzsystems getroffen wurde. Seither kämpfen Banken rund um den Globus mit horrenden Verlusten, welche ihr Eigenkapital aufzuzehren drohen. Und seitdem werden rund um den Globus „Rettungspakete für die Banken“ geschnürt. Nachdem über viele Jahre erzählt wurde, dass für Krankenhäuser, Schulen oder eine Anhebung des Arbeitslosengeldes leider kein Geld da sei, zeigt sich nun, dass für die Stützung von Großbanken innerhalb kürzester Zeit Rekordsummen mobilisiert werden können […]
Obwohl man seit der Pleite von Lehman Brothers europaweit inzwischen drei Billionen Euro für die „Rettung“ von Banken mobilisiert hat, wurde allerdings keines der Ziele erreicht, die man sich gesteckt hatte. Die Kreditvergabe kommt nicht in Gang, da die Banken noch immer auf Bergen von faulen Papieren sitzen. Produktion und Handel sind weltweit eingebrochen, Arbeitslosigkeit und Armut schnellen nach oben. Längst ist die Krise nicht mehr auf das Finanzsystem beschränkt. Auch Produktionsunternehmen wie Opel oder Schaeffler rufen den Staat zu Hilfe; die Zahl der Firmen, die durch den Rückgang von Aufträgen bei steigenden Kreditkosten in die Insolvenz getrieben werden, nimmt rasant zu.
Zwar schimpfen inzwischen auch Regierungsvertreter über allzu gierige Bankmanager und schwingen große Reden über die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der internationalen Finanzarchitektur. Dies ist auch erforderlich, um die Öffentlichkeit zu beschwichtigen, die in der Regel nicht einsieht, warum dieselben Finanzhaie, die sich und andere in die Pleite geritten haben, nun auch noch mit steuerfinanzierten Traumgehältern und Bonus-zahlungen honoriert werden sollen. Und damit niemand auf die Idee kommt, der Staat könne die Steuermittel auch für umfangreiche öffentliche Investitionen, für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Stärkung der Massenkaufkraft einsetzen, baut man in Deutschland vorsorglich „Schuldenbremsen“ in die Verfassung ein. Man braucht wenig Phantasie um sich vorzustellen, wie künftige Kürzungsorgien mit Verweis auf diese selbst geschaffenen Sach- und Sparzwänge legitimiert werden.
Sollte es nicht gelingen, den Kurs des Krisenmanagements zu korrigieren, werden die Lohnabhängigen für die Krise doppelt und dreifach bezahlen müssen. Nicht nur, dass im Zuge der Krise europaweit mindestens vier Millionen Arbeitsplätze vernichtet werden. Nicht nur, dass die Beschäftigten bereits jetzt zu Lohnverzicht aufgerufen werden und sie dieser dreisten Forderung nur zu oft nachkommen in der verzweifelten Hoffnung, durch Zugeständnisse den eigenen Arbeitsplatz retten zu können. Darüber hinaus werden die Steuermilliarden, die nun vom Staat ausgereicht werden, um die größten Zocker freizukaufen, in ein paar Jahren an die Gläubiger des Staates (d.h. die großen Finanzkonzerne) zurückgezahlt werden müssen, was höhere Steuern und/oder drastische Sozialkürzungen mit sich bringen wird.
Wer sind die Krisenmanager?
Egal wohin man blickt: Dieselben Eliten, die durch ihre Deregulierungspolitik für die Krise mitverantwortlich sind, die weltweit Privatisierungen forciert und die Liberalisierung des Kapitalverkehrs vorangetrieben haben, fungieren jetzt als oberste Krisenmanager. Zwar haben sich die internationalen Kräfteverhältnisse durch die Krise derart verschoben, dass nun verstärkt versucht wird, die Eliten einflussreicher Schwellenländer in die „global governance“ einzubinden. Ein grundlegender Politikwechsel ist mit der Erweiterung der G7 zur G20 aber nicht verknüpft. Wer geglaubt hatte, im Angesicht der Krise würde nun tatsächlich über ein neues Bretton-Woods-Abkommen verhandelt, mit dem seinerzeit zumindest die Wechselkurse reguliert wurden, dürfte inzwischen eines Besseren belehrt worden sein. Globale Ungleichgewichte, wie sie zwischen den USA einerseits und Exportnationen wie China, Deutschland oder Japan bestehen, waren auf dem Gipfeltreffen kein Thema, Forderungen von China und Russland nach einer Neuordnung des Weltwährungssystems wurde ebenso abgelehnt wie die ursprüngliche Forderung der USA nach wei-teren Konjunkturprogrammen. Stattdessen einigte man sich darauf, die Finanzmittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank um mehr als eine Billion US-Dollar aufzustocken. Damit haben die G20 ausgerechnet jener Institution zu mehr Macht verholfen, die schon seit Jahrzehnten als brutaler Schuldeneintreiber und Zwangsvollstrecker im Interesse der Großbanken tätig ist und durch seine neoliberalen „Strukturanpassungsprogramme“ bereits Millionen Menschen in Armut gestürzt hat.
Ehemalige Manager des IWF und der privaten Großbanken findet man auch in Europa auf einflussreichen Posten wieder – als Beispiel wäre die hochrangige Expertengruppe zu nennen, die von der EU-Kommission mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Reform der europäischen Finanzaufsicht betraut wurde. Geleitet wird diese Gruppe der so genannten „financial wise men“ von Jacques de Larosière, einst Berater von BNP Paribas und Präsident des IWF, der noch im Januar 2008 die Meinung vertrat, dass man keinesfalls so genannte „Finanzinnovationen“ beschränken dürfe, da diese das „Herz unserer Industrie“ ausmachten. Die Mehrheit der Larosière-Gruppe dürften ihm darin beipflichten, denn mit einstigen Beratern oder Managern der Citigroup, Lehman Brothers und Goldman Sachs sitzen in der Expertengruppe gleich drei weitere Vertreter von Großbanken, die den spekulativen Handel mit hochkomplexem Finanzschrott besonders eifrig betrieben haben. […]
Auch in Deutschland wird es der herrschenden Finanzelite wie selbstverständlich gestattet, eine führende Rolle im Krisenmanagement einzunehmen. Nicht nur, dass Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann ebenso wie Commerzbank-Chef Martin Blessing sowie der Finanzvorstand der Allianz, Paul Achleitner, an der Konzeption des ersten Banken-Rettungspakets beteiligt wurden, das im Oktober 2008 verabschiedet wurde. Auch den entsprechenden Gesetzentwurf ließ sich die Bundesregierung gleich von Freshfields Bruckhaus Deringer schreiben – einer Kanzlei, die bei unzähligen Privatisierungen, „Öffentlich-Privaten Partnerschaften“ und Cross Border Leasing-Geschäften unter Beweis gestellt hat, dass sie alle Tricks kennt, mit denen Gewinne privatisiert und Ri-siken und Verluste auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. So dürfte es kein Zufall sein, dass der mit 480 Milliarden Euro ausgestattete Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) wie eine Schattenbank funktioniert, die aus dem Bundeshaushalt ausgegliedert ist und keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Statt endlich für mehr Transparenz zu sorgen und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wem die Steuergelder am Ende zugute kommen, kann so in geheimen Klüngelrunden mit den Vertretern der großen Finanzkonzerne ausgehandelt werden, welche Bank zu welchen Bedingungen gestützt wird.
Schon bei der Rettung der IKB, die mit einer Bilanzsumme von rund 50 Mil-liarden Euro (Stand: Ende März 2008) wohl kaum als systemrelevantes Institut gelten konnte, flossen mehr als 10 Milliarden an Steuergeldern, damit die IKB ihre Verbindlichkeiten bei der Deutschen Bank und anderen Großbanken bedienen konnte; anschließend wurde die Bank für läppische 115 Millionen Euro an den Finanzinvestor „Lone Star“ verkauft. Auch die Rettung der Hypo Real Estate, die bereits mehr als 100 Milliarden Euro gekostet hat, wirft kein gutes Licht auf das Krisenmanagement. Ungeklärt ist beispielsweise, warum die Regierung mit der Stützungsaktion bis zum 29. September 2008 wartete – wohl wissend, dass die Hypovereinsbank, aus der die HRE im Jahr 2003 als eine Art „Bad Bank“ ausgegliedert wurde, genau bis zum 28. September für faule Papiere der HRE haftbar gemacht werden konnte. Wollte man hier die Altaktionäre um die Münchner Rück schonen? Oder die Deutsche Bank, die inzwischen im Vorstand der HRE vertreten ist?
Mehr als absurd erscheint auch die Stützung der Commerzbank. Nicht nur, dass man es einer Bank erlaubt, mehr als 18 Milliarden an staatlichen Hilfen einzustreichen und dabei gleichzeitig 9.000 Arbeitsplätze zu vernichten. Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum der Staat für seine 18 Milliarden nur einen Minderheitsanteil von 25 Prozent erhalten hat, obgleich die Commerzbank an der Börse für nur vier bis fünf Milliarden Euro komplett hätte gekauft werden können (FTD, 20.01.2009).
Warum keine Verstaatlichung?
Insgesamt gleicht das Krisenmanagement dem verzweifelten Versuch, einen todkranken Patienten mit immer neuen (Finanz)spritzen künstlich am Leben zu erhalten. Allerdings stößt diese Strategie zunehmend an Grenzen, da im Zuge der Finanzkrise immer mehr Kredite faul werden und die Banken immer mehr frisches Geld benötigen, um die giftigen Papiere aus ihren Bilanzen zu tilgen. Noch im Januar 2009 schätzte der IWF das Volumen der Schrottpapiere auf 2,2 Billionen Dollar, im April war bereits von vier Billionen US-Dollar die Rede. Nach einem Bericht des Daily Telegraph vom 11. Februar 2009 geht die EU-Kommission sogar davon aus, dass 44 Prozent der Vermögenswerte aller europäischen Banken, die in den Bilanzen noch auf 18,3 Billionen Euro beziffert werden, aus „giftigen“ Papieren bestehen könnten (junge welt vom 19.02.2009).
Vor einer Verstaatlichung von Banken schreckt man offensichtlich aus ideologischer Borniertheit zurück – obwohl diese Lösung für den Steuerzahler die billigste wäre. Zwar wären die faulen Papiere der Banken auch nach einer Verstaatlichung nicht verschwunden. Der Vorteil besteht allerdings darin, dass auch die noch werthaltigen Vermögensbestände in die öffentliche Hand übergehen und der Staat einen Teil seiner Verluste durch künftige Gewinne der Bank wieder wettmachen kann. Darüber hinaus könnte der Staat seinen Einfluss als Eigentümer dazu nutzen, um die Geschäftspolitik der Banken neu auszurichten und sicherzustellen, dass wieder sinnvolle Investitionen finanziert werden statt Spekulation – eine Möglichkeit, von der bislang so gut wie kein Gebrauch gemacht wurde. Die Frage der Enteignung von Aktionären stellt sich dabei insofern nicht als man nur etwas enteignen kann, was noch einen Wert hat. Da die großen privaten Banken jedoch praktisch bankrott sind, kann und sollte der Staat sie entschädigungslos übernehmen. […]
„Nun muss rasch der Weg freigemacht werden für die weitere Verstaatlichung. Denn jeder Tag, an dem die Bank noch nicht unter der Kontrolle des Staates steht, macht die Rechnung am Ende nur noch viel teurer,“ schrieb das Handelsblatt am 28. März 2009 mit Blick auf die marode Hypo Real Estate. Doch warum sollte dieser Grundsatz nur im Fall dieser einen Bank gelten? Der gesamte Finanzsektor sollte dauerhaft in öffentliche Hände überführt werden, da die Versorgung der Wirtschaft, der öffentlichen Hand und der privaten Haushalte mit Krediten, Girokonten und anderen Finanzdienstleistungen eine öffentliche Aufgabe ist und der Staat für die Stabilität der Finanzmärkte (d.h. die großen Banken und Versicherungen) ohnehin bürgen muss, wie die Krise bewiesen hat. Dass ein Finanzsystem nicht privatwirtschaftlich organisiert und auf Profitmaximierung ausgerichtet sein muss, um gut zu funktionieren, beweisen die Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Und was das Investmentbanking betrifft, das bislang vor allem privaten Großbanken, aber auch von etlichen Landesbanken betrieben wurde: Auf den größten Teil dieses Geschäfts – vom Eigenhandel mit und der Spekulation in Wertpapieren, über die Durchführung von Fusionen und Übernahmen, bis zur Betreuung von Privatisierungen, Public-Private-Partnerships oder Cross Border Leasing-Projekten – kann man gut und gerne verzichten. […]
Wer hingegen die Brandstifter von einst zu Feuerwehrleuten macht, geht das Risiko ein, dass aus einem Feuer ein Flächenbrand wird. Die Steuermilliarden, die heute verschwendet werden, um die größten Zocker freizukaufen, werden später fehlen, wenn es darum geht, die ansteigende Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Und wenn es nicht gelingt, die neoliberalen Brandstifter durch massiven öffentlichen Druck von den wichtigen Schaltstellen in Politik und Wirtschaft zu entfernen, werden am Ende die Beschäftigten, die Arbeitslosen oder Rentner für die horrenden Verluste der Banken und Finanzinvestoren bluten müssen. […]
Der komplette Artikel von Sahra Wagenknecht kann hier bestellt werden.