Fragen zu Europa

… und Antworten

1. Warum muss die Europäische Union so viele Dinge so haarklein regeln? Man denkt dabei an die berühmte Gurke. Bringt den Verbrauchern das wirklich so viel?
Die Europäische Gemeinschaft wird – so ist es im EG-Vertrag, den ihre Mitgliedstaaten vereinbart haben, festgelegt – nur innerhalb der Grenzen der ihr zugewiesenen Befugnisse und Ziele tätig. Die Bereiche, in denen sie ausschließliche Zuständigkeit hat sind u. a. gemeinsame Zolltarife, das Dienstrecht der EU-Beamten, die gemeinsame Handelspolitik, die gemeinsame Währungspolitik und der internationale Verkehr in der EG.
In den meisten anderen Politikbereichen kann die europäische Ebene in Ergänzung zu den Mitgliedstaaten aktiv werden. Dabei darf sie dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend nur tätig werden, wo Ziele durch Maßnahmen auf Mitgliedstaatenebene nicht ausreichend erreicht werden können. Häufig ist es so, dass die EU-Mitgliedstaaten bereits eigene nationale Gesetze z. B. in Deutschland die DIN-Normen) haben oder anstreben, die dann einfach vereinheitlicht werden. Zum Beispiel macht es für Verbraucher durchaus Sinn, dass die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln überall in der EU auf dieselbe Weise ausgeschildert sind, einheitliche Sicherheits- und Gesundheitsschutzbestimmungen für Produkte – beispielsweise Kinderspielzeug – zu haben sowie gemeinsame Mindeststandards für den Gewässerschutz oder einen einheitlichen Führerschein für Kraftfahrzeugfahrer einzuführen. Gemeinsame Umweltziele und -standards machen vor dem Hintergrund der globalen Klimaveränderungen ganz sicher ebenfalls Sinn.
Dass die berühmte „Gurkenverordnung“ vielleicht doch nicht so notwendig war, wurde nach einer Weile eingesehen und diese Regelung im vergangenen Jahr abgeschafft.
In anderen Bereichen würde ich mir hier und da sogar mehr gemeinsame Bestimmungen wünschen, zum Beispiel die Einführung eines Mindestlohns. Die LINKE hat hier vorgeschlagen, diesen auf der Basis von 60% des durchschnittlichen Lohnes in dem jeweiligen Mitgliedstaaten zu berechnen. Auch eine EU-weit geltende Steuer auf Finanztransaktionen (Tobin-Tax) hielte ich für sinnvoll.
Unzufrieden bin ich dagegen mit solchen Gesetzen, die letztlich auf eine Deregulierung in verschiedenen Wirtschaftsbereichen abzielen, wenn beispielsweise der freie Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet wird, aber keine Kontrolle der Finanzströme stattfindet, wenn von einem Unternehmen mit Sitz in einem Land Dienstleistungen auch in allen anderen Mitgliedstaaten erbracht werden dürfen, aber nicht festgelegt wird, dass dann vor Ort Steuern gezahlt werden oder wenn wirtschaftliche Interessen über soziale gestellt werden.
2. Welche Befugnisse hat die Kommission tatsächlich? Lässt sich deren Arbeit mit der deutscher Minister vergleichen?
Die EU-Kommission beziehungsweise ihre Fachabteilungen (die sogenannten Generaldirektionen) sind zum Teil durchaus mit Ministerien vergleichbar. Sie sind für die technischen Durchführungsbestimmungen zu vielen Gesetzen und für Verwaltungsaufgaben zuständig. Eine ihrer Hauptaufgaben ist es darüber hinaus, Gesetzesentwürfe vorzubereiten. Danach sind Europaparlament und Rat an der Reihe, diese Vorschläge zu prüfen, gegebenenfalls zu ändern und zu einem gemeinsamen Standpunkt zu gelangen. Was der Rat, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs allerdings tun kann, ist, der Kommission den Auftrag zu geben, Gesetzesinitiativen vorzuschlagen sowie internationale Verträge mit Drittstaaten auszuhandeln. Das Europaparlament gibt der Kommission natürlich ebenfalls politische Empfehlungen für die Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen.
Der große Unterschied zwischen Ministern und Kommissaren ist, dass letztere ausdrücklich nicht Vertreter des jeweiligen Mitgliedstaates sind und damit auch nicht an die politischen Weisungen ihrer Regierungen gebunden. Damit ist die EU-Kommission ohne Zweifel eine mächtige Institution. Jedoch finden die größten Auseinandersetzungen um die inhaltlichen Vorschläge letztlich zum einen zwischen den Mitgliedstaaten, die oft unterschiedliche nationale Interessen vertreten, zum anderen zwischen den politischen Fraktionen im Europaparlament, aber auch zwischen Rat und Parlament statt. Diese beiden Institutionen sind nun durchaus direkt (EP) oder indirekt (Rat) demokratisch gewählte Vertreter der EU-Bürger. Es ist also eine – leider oft von den Regierungen missbräuchlich genutzte – Ausrede, wenn gesagt wird, ein Gesetz komme ‚von oben herab aus Brüssel‘. Zudem ist die Kommission natürlich an Recht und Gesetz und eben an die Europäischen Verträge gebunden. Sollte sie diese nicht beachten, können ihre Rechtsakte vom Gerichtshof für ungültig erklärt werden. Darüber hinaus hat jeder Mitgliedstaat sowie auch das EP das Recht, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben.
3. Warum kann ich als Bürger die Kommission und deren Präsidenten nicht direkt wählen? Warum ist das Verfahren so kompliziert?
Nach dem geltenden EG-Vertrag ist es so, dass die Staats- und Regierungschefs eine Persönlichkeit für das Amt des Kommissionspräsidenten sowie einen Kommissar pro Land benennen. Diese benötigen jedoch die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Das Parlament kann im Falle von Verfehlungen eines oder mehrerer Kommissare einen Misstrauensantrag gegen die Kommission stellen. Findet sich eine Zweidrittelmehrheit dafür, muss das gesamte Kollegium zurücktreten.
Natürlich wäre es theoretisch möglich, den EG-Vertrag dahingehend zu ändern, dass zum Beispiel die Parlamente der Mitgliedstaaten dem Vorschlag ihrer Regierung für den eigenen Kommissar zusätzlich ebenfalls zustimmen müssen. Aber erstens sind Vertragsänderungen nicht so einfach durchzusetzen – alle Mitgliedstaaten müssten dem Vorschlag zustimmen. Zweitens wäre das dann eben doch ein weitgehend nationales politisches Mandat, das dem Gedanken der Weisungsungebundenheit widersprechen würde. Die Kommissare sollen ja wie gesagt eben eigentlich nicht nationale Interessen vertreten. Und schließlich: Auch Minister werden ernannt und nicht direkt gewählt.
Sollte der Vertrag von Lissabon in Kraft treten, muss der Rat in Zukunft immerhin bei seinem Vorschlag für einen Kommissionspräsidenten die Ergebnisse der Wahlen zum Europaparlament stärker berücksichtigen. Aber auch unabhängig davon könnte die Bundesregierung beschließen, vor ihrer Nominierung des deutschen Kandidaten den Bundestag zu befragen.
4. In einigen Ländern gab es ein Plebiszit zum Lissabon-Vertrag. Nicht so in Deutschland. Warum nicht?
Im Gegensatz zu den Verfassungen anderer EU-Mitgliedstaaten gibt das deutsche Grundgesetz – über das ich mir 1990 übrigens auch eine gesamtdeutsche Volksabstimmung gewünscht hätte – keine Grundlage für ein Referendum über die Europäischen Verträge her. DIE LINKE. hat sich für eine entsprechende Grundgesetzänderung eingesetzt, der Vorschlag wurde jedoch von den anderen Fraktionen im Bundestag nicht unterstützt.
Dessen ungeachtet sind aber auch die Volksbefragungen in anderen Mitgliedstaaten – Frankreich, den Niederlanden (nein), Luxemburg und Spanien (ja) – für die Regierungen und nationalen Parlamente nicht verbindlich. In weiteren Ländern – Belgien, Polen, Portugal, Dänemark, Großbritannien – ist die Möglichkeit eines Referendums zwar vorhanden, wurde aber nicht genutzt. Einzig die irische Verfassung gibt dem Plebiszit ihrer Bürger bindenden Charakter.
Ob verbindlich oder nicht: Dort, wo es Bürgerentscheide gegeben hat, haben sich die Politiker wesentlich intensiver als in Deutschland darum bemüht, die Inhalte der neuen Vertragsentwurfes zu kommunizieren. Die Bürgerinnen und Bürger in diesen Ländern sind vor allem auch selbst aktiv geworden, haben Diskussionsrunden über die Inhalte des Vertragsentwurfs organisiert und letztlich eine gut informierte Entscheidung treffen können. So kann Demokratie funktionieren.