»Es war keine Liebe auf den ersten Blick«

Artikel im Neuen Deutschland von Uwe Sattler
Erlebte Geschichte: Elmar Brok und Sylvia-Yvonne Kaufmann blickten auf Deutschland und Europa

Zwei Parteien, zwei Landeshälften, ein Europa – in Brüssel diskutierten die EU-Abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann und Elmar Brok über »Erlebte Geschichte der deutschen und europäischen Einigung«. Anfang des Monats hatten die Linke aus Berlin und der Konservative aus Verl in Nordrhein-Westfalen für ihr Engagement bei der europäischen Integration das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Eigentlich hätten sie sich begegnen können, damals, im Sommer 1973 auf dem Alexanderplatz in Berlin. Die FDJlerin Sylvia-Yvonne Kaufmann und das Führungsmitglied der Jungen Union Elmar Brok aus Nordrhein-Westfalen. »Da war Offenheit, da gab es Diskussion, da gab es Spaß – sogar im Brunnen vor dem Centrum-Warenhaus konnte man baden«, schwärmt Kaufmann noch heute von den Weltfestspielen der Jugend und Studenten. Für Brok dagegen war die Erfahrung mit dem Realsozialismus eine schmerzhafte: Sein Versuch, gemeinsam mit weiteren JU-Emissären die UN-Menschenrechtserklärung auf dem Alex zu verteilen, endete mit Prügel für die CDU-Nachwuchstruppe. Wohlgemerkt von Delegierten der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend aus Westdeutschland, die sich auf schlagkräftige Argumentation verstanden. »Dass ich Politiker wurde, hat sich nach diesem Erlebnis in einem Studentenwohnheim in Rummelsburg entschieden«, kokettiert der Christdemokrat.

Als sich Brok, seit fast 30 Jahren CDU-Europaabgeordneter, und Kaufmann, die seit 1999 für die deutschen Linken im EU-Parlament sitzt, in der vergangenen Woche begegneten, verlief alles friedlich. Vor Publikum berichteten beide über ihre persönlichen Erfahrungen beim Zusammenwachsen Europas. Anlass für die Debatte war eine Auszeichnung, die ihnen der Präsident des Europaparlaments zu Monatsbeginn überreicht hatte: das Bundesverdienstkreuz. Kaufmann (»Der Orden liegt zu Hause«) sieht damit ihr langjähriges Engagement für ein friedliches, soziales und demokratisches Europa gewürdigt. Diese Ziele mochte auch Brok nicht zurückweisen, beschränkte sich aber auf die Bemerkung, dass er nun die Steigerungsstufe des »einfachen« Verdienstordens erhalten habe. Den Anstecker trug er am Revers.
Echte Harmonie wollte – und sollte – sich trotz dieser Gemeinsamkeiten nicht einstellen. Schließlich werfen diverse Wahlen ihre Schatten voraus, erst wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung hatte Brok seine Teilnahme an der Diskussion mit der Linken bestätigt. Voraussetzung: Die Runde findet auf »neutralem Boden« statt. Das Goethe-Institut in Brüssel hatte extra seinen Saal zur Verfügung gestellt. Und dieser war gut gefüllt – zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von jugendlich wirkenden Anzugträgern. »Ich musste den Sozialismus noch woanders schlagen«, begründete Brok seine Verspätung und erntete dafür Heiterkeit dieser Gäste.

Vom »Sieg« über die Linkspolitikerin konnte allerdings keine Rede sein. Zwar wurde offensichtlich, dass sich beide Gesprächspartner achten und als Europaexperten schätzen. Zumal es im EU-Parlament, anders als in den nationalen Volksvertretungen, keine Regierungs- und Oppositionsfraktion gibt und Entscheidungen nur über die Zusammenarbeit mit anderen Parteien möglich sind – was einschließt, dass Maximalforderungen kaum durchsetzbar sind. Daran, dass sie auf verschiedenen Seiten stehen, ließen Brok und Kaufmann allerdings keinen Zweifel. Das zeigte sich in ihrer Position zu einem neoliberalen Europa, aber ebenso im Rückblick auf die DDR. »Das war mein Land«, betonte Kaufmann und erzählte von ihrer Hoffnung, den sozialistischen Staat zu reformieren. Brok dagegen war überzeugt, dass die DDR nur aufrecht erhalten werden konnte, »weil es die Diktatur und den Schutz der Russen gab.« Mit dem PDS-Mitglied Kaufmann, die 1991 erstmals als Beobachterin ins EU-Parlament einzog (»Die Arroganz vieler westlicher Abgeordneter uns gegenüber war erschreckend«) habe es »keine Liebe auf den ersten Blick« gegeben, so der CDU-Mann. Das gilt wohl noch heute.
Natürlich wurde Kaufmann auch auf ihre Haltung zum Lissabonner EU-Vertrag angesprochen, für die sie in der LINKEN gescholten wird. Dass sie das Abkommen trotz aller auch von ihr kritisierten Unzulänglichkeiten und negativen Aspekte für wichtig hält, hat die Abgeordnete, die von ihrer Partei zur kommenden EU-Wahl nicht als Kandidatin vorgeschlagen wurde, in den letzten Jahren nie verschwiegen. Und mit dieser Position wird sie auch auf dem Europaparteitag der LINKEN am kommenden Wochenende um einen Listenplatz antreten: »Ich werde kämpfen, und nicht nur ein bisschen.«

Erschienen in „Neues Deutschland“ am 25. Februar 2009