Interview von André Brie mit der „tageszeitung“ (taz), 20. Februar 2009
taz: Herr Brie, die Linkspartei hat Sie nicht mehr für das Europaparlament nominiert. Was haben Sie denn falsch gemacht?
Andre Brie: In meiner Arbeit nichts. Ich halte zwar vieles an der aktuellen EU-Politik für falsch – habe aber eine pronociert proeuropäische Haltung. Das missfällt vielen offenbar.
Die EU betreibt eine Politik der „militärischen Aufrüstung, sozialer Spaltung und Ausbeutung.“ So steht es im Wahlprogramm der Linkspartei. Stimmt das?
Weitgehend ja. Aufrüstung betreibt nicht die EU, das tun die Nationalstaaten. Allerdings droht die EU ihren Charakter als zivile Macht zu verlieren. Und der Lissabon Vertrag treibt die Orientierung auf mehr Markt und Privatisierung voran – und das befördert soziale Spaltung.
Das Wahlprogramm der Linkspartei lässt kein gutes Haar an der EU…
Ich finde schon, dass in dem Text nun ein klares Bekenntnis zu Europa steht.
Reden wir über das gleiche Programm?
Doch, es gibt durchaus verbale Bekenntnisse zu Europa. Die sind auch wichtig – wir können sie nutzen. Falsch scheint mir, dass vieles, was Nationalstaaten verantworten, der EU angeheftet wird. So drohen die großen faszinierenden Chancen der europäischen Einigung in den Hintergrund zu treten.
In dem Programm steht, dass „der Vorrang des EU- Rechts vor nationalen Grundrechten“ gebrochen werden muss. Das fordern sonst nur Rechtskonservative. Offenbart diese Passage nicht eine antieuropäische Schlagseite?
Nein, das ist ein komplexes Probem. Wir haben viele Souveränitätsrechte an die EU abgegeben – das finde ich richtig. Denn gerade die Finanzkrise zeigt doch, dass Nationalstaaten in der globalisierten Ökonomie nicht ausreichen, um die Rechte der Bürger zu verteidigen. Andererseits müssen die nationalstaatlichen Rechte der Bürger das Primäre bleiben. Denn wir wollen keinen EU-Superstaat. Das muss man ausbalancieren – und vor allem die umfassende Demokratisierung der EU forcieren. In dieser Hinsicht ist der Lissabon Vertrag positiv. Denn dort sind erstmals einklagbare Rechte der Bürger gegenüber den EU-Institutionen fixiert.
Die Linkspartei klagt in Karlsruhe gegen den EU-Vertrag – ebenso wie Peter Gauweiler? Unterstützen Sie diese Klage?
Ja – denn dort findet sich mehr Negatives als Positives.
Die Linkspartei rühmt sich sich ja sehr wegen ihres Internationalismus. Wie verträgt sich das denn mit dem nationalen Unterton in der EU-Kritik?
Die europäische Linke muss die entschiedenste Kraft für die Einigung Europas sein. Denn ein vereintes Europa wird es nur auf sozialer Grundlage geben.Deshalb darf sich die Linkspartei nationale Untertöne nicht leisten.
Aber es gibt sie?
Ja, und das ist kurzsichtig. Eine Renationalisierung ist illusorisch und falsch.Wir haben eine ähnliche Lage wie im 19. Jahrhundert als Karl Marx selbst die deutsche Einigung mit Blut und Eisen von oben als Fortschritt gegenüber der Kleinstaaterei gesehen hat. Heute, angesichts globalisierter Märkte und internationaler Konzerne, kann die Linke doch gar nicht auf Eruopa verzichten. Gerade wenn sie soziale Ziele durchsetzen will.
Der Eindruck drängt sich auf, dass die EU-Ablehnung seit der Fusion mit der WASG größer geworden ist.
Ja, das stimmt. Nicht für den Parteivorstand, aber für die gesamte Partei.
Sind Sie desahlb nicht mehr nominiert worden?
Nein, da spielt ein profundes Desinteresse an dem was wir im Europaparlament machen, eine größere Rolle. Und viel Unkenntnis. Wir – die Fraktion – haben viel Konstruktives geleistet. Das Europaparlament ist ein ziemlich faszinierende Sache. Parlamentarier, auch linke Parlamentarier, können viel auf den Weg bringen. Ich war Berichterstatter des Parlaments über die Marktüberwachung – laut Verheugen die größte Reform des EU-Binnenmarktes. Und ich habe als Verhandlungsführer des Parlaments vieles für mehr Verbraucherschutz durchgesetzt. Von solchen Einflussnahmen können Bundestagsabgeordnete nur träumen.