Hoffnung hinter Gittern

Artikel in der NRZ von Matthias Maruhn
IMMIGRATION. Auf Lampedusa steigt der Zorn der Flüchtlinge und der Inselbewohner.

LAMPEDUSA. Massimo geht vorneweg. Er wohnt ganz in der Nähe, er kennt den geheimen Weg über die kargen Hügel zum Lager. Alle zehn Meter hocken wir uns kurz hin und pflücken wilden Spargel, zur Tarnung, damit die uniformierten Wachen hinter dem Zaun nicht merken, dass wir heimlich Fotos machen. Journalisten sind hier nicht willkommen rund um die beiden Flüchtlings-Camps auf Lampedusa. Niemand soll sehen, wie es den 1000 Afrikanern ergeht, die übers Meer gekommen sind und von einer besseren Zukunft träumen. Den sechs Europa-Abgeordeneten, die am Wochenende auf der Insel waren, konnten die Behörden den Zutritt nicht verbieten. Was die Politiker erzählen, macht den Aufstand der Eingezäunten verständlicher.

Zwölf Betten für 38 Bewohner

Gabriele Zimmer, für Thüringen im EU-Parlament, hat sich in den Baracken gründlich umgesehen, sie ist entsetzt: „In jedem Raum stehen sechs Doppelbetten. Die Zimmer sind aber mit 38 Leuten belegt. Auch in einem außen liegenden Treppenhaus schlafen die Menschen. Auf Schaumstoff, mit ein paar Tüchern abgehängt. Viele der jungen Männer wirken apatisch, von 15 Selbstmordversuchen in einer Woche ist die Rede. In den Gebäuden ist es zudem äußerst dreckig, die Bäder sind furchtbar, überall stinkt es.“
Auch in der Hafenstadt Lampedusa ist die Stimmung durchaus gereizt. Nicht alle solidarisieren sich aus humanitären Gründen mit den Afrikanern. Es geht auch ums Eingemachte. Die Insulaner leben ganz überwiegend vom Tourismus, und der sei in der letzten Saison um 35 Prozent zurückgegangen. Massimo erklärt das so: „Viele Leute scheuen sich, neben Flüchtlingslagern Urlaub zu machen. Von den Horrorstorys über Ertrunkene am Strand mal ganz zu schweigen.“ Die Solidarität mit den Flüchtlingen hat aber auch eine historische Erklärung. Massimos Frau Cincia kennt die Geschichte: „Wie mein Großvater sind viele unserer Vorfahren in den vergangenen 150 Jahren auf die Insel verbannt worden. Meist aus politischen Gründen. Oder weil sie Gangster waren.“ Tradition verbindet.
Früher, so erzählt Cincia, „das ging so vor 20 Jahren los, da sind ja auch schon immer Afrikaner auf dem Weg nach Norden hier angetrieben worden. Denen wurde stets geholfen. Wir haben ihnen zu essen und dann das Ticket für die Fähre gegeben. Irgendwann wurden es zu viele. Wobei eins doch klar ist: Das Problem kann nicht auf Lampedusa gelöst werden. Das Problem muss in Afrika gelöst werden. Da muss die Hilfe beginnen.“
Ihre Freundin Irene (37) kommt dazu und diskutiert mit. Sie hat ein kleines Geschäft, verkauft Sandalen an die Touristen. „Natürlich schadet so ein Guantanamo-Image. Aber mal im Ernst: Wenn es mir schlecht gehen würde, wenn meine Kinder nicht genug zu essen hätten, dann würde ich doch auch losziehen und mein Glück versuchen. Wer will es den Afrikanern also verdenken…“
Die Abgeordnete Gabi Zimmer und ihre fünf Kollegen werden jetzt zunächst alles versuchen, die Lebens-Bedingungen der gut 1000 Eingeschlossenen zu verbessern, um Ausschreitungen wie gestern zu verhindern. „Wir müssen zunächst dafür sorgen, dass die geltenden Gesetze eingehalten werden. Uns sind Fälle bekannt geworden, da mussten falsch datierte Papiere unterschrieben werden. Langfristig gilt es, solche Lager komplett zu schließen.“

Der Friedhof der Flüchtlingsschiffe

Nicht weit von dem Komplex entfernt ist neben dem städtischen Schrottplatz ein Schiffsfriedhof angelegt worden. Die arabischen Schriftzeichen am Bug verraten die Herkunft, vergessene Wasserflaschen an Bord wurden in Tunis abgefüllt. Auch richtig große Boote wurden mit dem Laster hier hinaufgeschleppt, nie mehr ein Handbreit Wasser unter dem Kiel, auch das geht Seebären wie den Lampedusianern gegen den Strich und ans Gemüt.
Dazu nerven die vielen Polizisten, die Carabinieri, die Beamten der Guardia di Finanza, etwa 1000 Ordnunghüter sollen in der Stadt sein. Und sie sind wirklich präsent: In jedem dritten Auto, das die Via Roma, die größte Straße im Kaff, herunterrollt, sitzen Uniformierte, die Autos aufgerüstet, mit Gittern gegen Steinwürfe geschützt, die Männer tragen schweres Besteck, Knarren, Knüppel, einige haben auch Schilde dabei, immerhin können sie die bei dem Sauwetter prima als Schirm benutzen.
Das Wetter, die schwere See, ist auch dafür verantwortlich, dass die Situation überhaupt noch im Griff ist. Seit dem 21. Januar hat kein Flüchtlingsschiff mehr das Eiland erreicht. Bleibt zu hoffen, dass es auch niemand versucht und mit dem Leben bezahlt hat. Auf drei Überlebende kommt nach Schätzungen von Hilfsorganisationen ein Ertrunkener.
Welche Gewalt die See hat, ist in der Hafeneinfahrt eindrucksvoll zu sehen. Ein Fischkutter ist dort gekentert, die Männer wurden gerettet, aber ein Bergungsversuch mit einem Schlepper aus Malta misslang, der Kahn kippte ganz, jetzt droht der Treibstoff auszulaufen. Massimo sieht schwarz: „Umweltbewusstsein gibt´s hier noch nicht wirklich. Da sind Tausende von Litern drin, wenn die auslaufen, haben wir bald ein ganz anderes Problem auf unserer Insel.“ (NRZ)
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