Weltsozialforum: Weichen für die Zukunft stellen

Vom 27. Januar bis 1. Februar 2009 findet im brasilianischen Belém das neunte Weltsozialforum mit über 2400 Einzelveranstaltungen statt. Gabi Zimmer, für DIE LINKE Mitglied im Europaparlament, berichtet aus Belém.

Das Weltsozialforum in Belém ist voll im Gange. Mehr als 150 000 Menschen vor allem aus Brasilien und Lateinamerika sind hier. Leider habe ich die Eröffnungsdemonstration nicht erleben können, da ich zu der Zeit noch im Flieger sitze. Wie nicht anders zu erwarten, sind Stimmung und Atmosphäre einfach toll. Selbst von den fast auf die Minute pünktlich am Nachmittag einsetzenden Regengüssen lässt sich hier niemand abschrecken. Es regnet? Na und, es geht auch wieder vorbei. Ob dein T-Shirt an dir klebt, weil du schwitzt oder weil du nicht schnell genug vor dem Regen flüchten konntest, das merkt eh keiner.
Am Mittwoch nehme ich am Weltparlamentarierforum teil. Das Treffen der Abgeordneten ist in das Weltsozialforum integriert, respektiert die Charta von Porto Allegre und versteht sich als ein Forum, auf dem die Themen der sozialen Bewegungen aufgenommen und in den parlamentarischen Raum getragen werden sollen. Natürlich nutzen viele Abgeordnete der Arbeiterpartei Brasiliens die Gelegenheit, um vor heimischen Medien ihre Positionen zu benennen. Schön ist es, dass sie das auch sehr temperamentvoll tun. Am Nachmittag stehen die Auswirkungen der globalen Wirtschafts-und Finanzkrise auf die Menschen und der Nahost-Konflikt im Mittelpunkt.
Der Donnerstag gehört den sozialen Bewegungen Lateinamerikas. Am Nachmittag laden sie die „fortschrittlichen Präsidenten Lateinamerikas zu einem Dialog“ ein – also Correa aus Ecuador, Lugo aus Paraguay, Morales aus Bolivien und Chavez aus Venezoela. Interessant, dass der brasilianische Präsident Lula auf die gemeinsame Großveranstaltung den anderen Präsidenten am Abend im Stadion ausweichen muss. Der Konflikt zwischen ihm und den Vertretern der sozialen Bewegungen ist inzwischen fast unüberbrückbar.
An der Nachmittagsveranstaltung dürfen wir von der Linksfraktion im Europaparlament als Beobachterinnen teilnehmen. Die Widersprüche zwischen den sozialen Bewegungen und selbst den linksgerichteten lateinamerikanischen Regierungen sind nicht zu übersehen. Nicht die Regierungen werden die Welt verändern sondern wir, lautet die selbstbewusste Botschaft der sozialen Bewegungen. Bei manchen der Wortführer ist auch die Schwierigkeit herauszuhören, die sie mit der Akzeptanz demokratisch gewählter Präsidenten haben. Es wird aus meiner Sicht noch viel Wasser den Amazonas lang fließen, bis sich hier ein entsprechender Umgang miteinander entwickelt. Die Präsidenten sind von sich aus Schritte gegangen. Chavez zum Beispiel bezeichnet sich als Feministen. Bei mir werden Erinnerungen wach. Wir hatten in der PDS auch mal einen Parteivorsitzenden, der sich als glühenden Feministen betrachtete Die Botschaft jedenfalls kommt an: Sozialismus ohne Feminismus gibt es nicht. Gleich macht auch ein Slogan die Runde, der zwar etwas holperte aber trotzdem vor allen von den Teilnehmerinnen des „Marche des Femmes“ immer wieder skandiert wird : »Take care, take care imperialist – all Latinamerica is becoming feminist!«
Am Freitag setzen wir nach eintägiger Unterbrechung unsere Diskussion zum Thema „Migration im regionalen Kontext“ fort. Als Mitglieder des Europaparlaments werden wir insbesondere zu den geplanten Vorhaben der Europäischen Union befragt. Die Bilder von Lampedusa haben es rund um die Welt geschafft – nicht nur die italienische Regierung zeichnet für diese Menschenrechtsverletzung veranwortlich. Berlusconi dreht am Rad, aber auch von Merkel und Steinmeier habe ich keine Intervention angesichts der unhaltbaren Zustände gehört. Wie auch – es ist ja schließlich Bestandteil der von ihnen und Schäuble mitinitiierten Flüchtlings-, Asyl- und Migrationspolitik der EU.
Die Themenpalette des Weltsozialforums ist groß. Allein 10 Schwerpunkte umfasst die Agenda – angefangen beim Aufbau einer Welt in Frieden über Gerechtigkeit, den Respekt ethischer und religioeser Vielfaltigkeit, die Forderung nach Zurückdrängung der Weltherrschaft des Kapitals, imperialistischer, kolonialer und neokolonialer Beherrschung und ungleicher Handelssysteme bis hin zur Forderung nach universellem und nachhaltigem Zugang zu gemeinsamem Besitz der Menschheit und der Natur – um nur einige der Themen zu nennen. Fast alle Seminare, Workshops und Meetings auf dem Gelände der beiden Universitäten von Belém sind überfüllt. Das Interesse, mehr von den anderen zu erfahren, ist übergroß.
Ich selbst kann das an meinem zweiten Tag vor Ort erleben, als ich in einer Runde mit AktivistInnen von CADTM – einer Initiative, die sich für die Entschuldung der ärmsten Länder engagiert – über die Ursachen der weltweiten Lebensmittelkrise diskutiere. Natürlich spielt dabei die Handels- und Rohstoffpolitik eine wichtige Rolle. Europa eignet sich u.a. zu Dumpingpreise Pflanzen an, die für Lebensmittel und für unsere Tanks wichtig sind, um diese oftmals nach ihrer Veredlung den Herkunftsländern wieder für ein Vielfaches des Preises anzubieten. Die Europäische Union gilt zu Recht als eine Hauptverursacherin und Ausnutzerin der immensen Preissteigerungen und Verknappungen bei Lebensmitteln auf dem Weltmarkt.
Angesichts der Begeisterung der Teilnehmenden halte ich die Bedenken, die Sozialforen hätten sich erledigt, für falsch. Allerdings tritt die eigentliche Fragestellung, die an das Selbstverständnis der Bewegung rührt, nur hinter den Kulissen zu Tage. Sollen die Foren auschließlich den Raum für Diskussionen, für den Austausch von Erfahrungen, Alternativen bieten oder soll das Potential der Foren nicht auch gleichzeitig für die Mobilisierung von Menschen in der ganzen Welt für Aktionen, für unterschiedlichste Protestformen genutzt werden? Eine Frage, die jedenfalls am Sonntag bei der traditionellen Zusammenkunft der sozialen Bewegungen eine entscheidende Weichenstellung für die Zukunft der Weltsozialforen auslösen kann.
Von Gabi Zimmer aus Belém