„Das ist Neoliberalismus pur“

Die Europaabgeordnete Gabi Zimmer nimmt Stellung zum Programm der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft

„Die Vorhaben der tschechischen Regierung für die Zeit ihrer Ratspräsidentschaft sind für mich und für die Bevölkerung der Europäischen Union eine einzige Enttäuschung“, bedauert die Sozialpolitikerin der LINKEN im Europäischen Parlament. Prag setze ganz auf radikale Wirtschaftsliberalisierung. „Das ist Neoliberalismus pur.“ kritisiert Zimmer die Pläne. „Während alle Experten die Finanzkrise als ein Scheitern neoliberaler Wirtschaftskonzepte analysieren, heißt es in Prag trotzig „Weiter so!“.
Renten-, Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsausgaben sollen weiter privatisiert werden. Unternehmen sollen direkten Einfluss auf Lehrpläne von Schulen und Universitäten erhalten, damit diese bedarfsorientiert „beschäftigbare“ Absolventen produzieren. Unter dem Motto der Präsidentschaft, dem „barrierefreien Europa“, versteht das Prager Bündnis aus Konservativen, Wirtschaftsliberalen und Grünen nicht etwa ein Engagement für volle Gleichstellung und Anti-Diskriminierung besonders benachteiligter Menschen in der EU, sondern das Einreißen sämtlicher Beschränkungen für Handel und Dienstleistungen im Binnenmarkt. „Nach den skandalösen Urteilen des EuGH fordert Prag nun triumphierend die volle Anwendung der unternehmerischen Binnenmarktfreiheiten, statt auf die Sorgen der Gewerkschaften einzugehen. Im Gegenteil: der Arbeitsmarkt soll weiter flexibilisiert und der Mobilitätszwang ausgebaut werden.“ stellt Zimmer fest. Selbst bestehende Verbraucherschutzregelungen sollen „überprüft“ werden, um auch noch die letzten Barrieren im Binnenmarkt zu entfernen. Geebnet werden soll auch der Weg für das so genannte „Verteidigungs-Paket“ der Kommission, durch das auch noch die Beschaffung von Rüstungsgütern in den Binnenmarkt überführt werden soll.
„Ich fordere vom Rat in den kommenden Monaten stattdessen Initiativen, mit denen die Bevölkerung vor möglichen sozial- und beschäftigungspolitischen Auswirkungen der aktuellen Krise geschützt wird.“ Als erstes Signal fordert Zimmer die sofortige Aufgabe des Versuchs des Rates, die europäische Arbeitszeit-Richtlinie aufzuweichen. „Wenn die Arbeitslosigkeit zu steigen droht, darf nicht als erstes die Ausbeutung von Beschäftigten erleichtert werden. Ich fordere: Hände weg von der Erhöhung der Wochenarbeitszeit, Schluss mit dem Opt-out und Anerkennung der Bereitschaftszeit vor Ort als volle Arbeitszeit!“
Die Prager EU-Präsidentschaft scheine die Wirtschaftskrise für ihre neoliberalen Konzepte missbrauchen zu wollen. „Ich stimme zu, dass wir eine europäische Lösung der Finanzkrise benötigen. Aber zu dieser Lösung müssen auch sozialpolitische Weichenstellungen gehören, die verhindern, dass die Menschen in den verschiedenen Mitgliedstaaten in Zeiten der Krise gegeneinander ausgespielt werden und eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt wird.“ Zimmer fordert daher eine Ratsinitiative für eine Revision des vorgelegten Lissabon-Vertrages, um die versäumte Aufnahme sozialer Rechte ins Primärrecht der EU nachzuholen.
„Zudem brauchen wir eine europäische Regulation der Finanzmärkte, um ein für alle Mal zu verhindern, dass sich eine solche Krise wiederholen kann.“ Die tschechische Ratspräsidentschaft setze hingegen weiter auf Liberalisierung und auf weltweiten Freihandel und erzwungene Marktöffnung als „Mittel zur Überwindung der gegenwärtigen Krise“ – zugunsten europäischer Unternehmen. Die Steigerung der Hilfe für afrikanische Länder stellt Prag gleichzeitig sogar in Frage und will sich stattdessen für eine bessere „geographische Balance“ einsetzen, sprich mehr Entwicklungsgelder nach Ost- und Südosteuropa lenken. „Mein Fazit lautet: das Programm der tschechischen Ratspräsidentschaft ist das schlechteste Programm der letzten fünf Jahre.“ bilanziert Zimmer.