Sozial, nicht neoliberal

Artikel von Sylvia-Yvonne Kaufmann in „Neues Deutschland“ vom 5.Dezember 2008

Das Ergebnis des Treffens der G20 war ein kleinster, gemeinsamer Nenner: Durch Kontrolle und Transparenz soll eine erneute Finanzmarktkrise verhindert werden. Doch welche konkreten Maßnahmen folgen, ist offen. Der Internationale Währungsfonds (IWF), der durch seine neoliberale Strukturanpassungspolitik weltweit Menschen in Armut und Elend stürzte, soll nun zum Oberaufseher des globalen Finanzmarkts gekürt werden. Mit dem System der globalen Umverteilung, das für die Krise hauptverantwortlich zeichnet, wird nicht einmal ansatzweise gebrochen. Es ist doch schizophren, dass bislang die unvorstellbar große Summe von 2,5 Billionen Euro aufgebracht werden musste, um weltweit Banken zu retten. Noch bei keinem Menschheitsproblem hat es eine solche konzertierte Aktion gegeben. Mit diesem Geld hätte man längst die ärgste Armut in der Welt bekämpft und das Klima gerettet.
Was folgt daraus? An die Stelle der freien Marktwirtschaft muss eine soziale Weltwirtschaftsordnung treten – und dabei sollten die Vereinten Nationen eine Führungsrolle übernehmen. Eine neue Weltfinanzordnung muss Sozialstaatlichkeit fördern, den Verarmungsprozess stoppen und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften voranbringen.
Die Europäische Union kann diese neue Ordnung entscheidend mitgestalten – vorausgesetzt, sie stellt unter Beweis, dass die Rezession als Folge der Finanzkrise durch gemeinsames europäisches Handeln wirksam bekämpft wird. Das geht aber nur, wenn die EU zunächst ihr eigenes Haus in Ordnung bringt! Dazu gehört, dass der mausetote Stabilitätspakt durch einen Wirtschafts- und Sozialpakt ersetzt wird, der alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich verpflichtet, ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik miteinander zu koordinieren.
Dazu gehört auch, dass die Brüsseler Kommission endlich Flagge zeigt und ohne Wenn und Aber das Thema soziale Gerechtigkeit zum Punkt Eins der europäischen Tagesordnung erklärt. Im Legislativ- und Arbeitsprogramm kommen soziale Aspekte – wieder einmal – viel zu kurz. Da ist dann auch nur schwammig von »sozialem Druck« die Rede, auf den man »in einer Zeit wirtschaftlicher Not« reagieren müsse. Warum werden die gravierenden sozialen Probleme nicht konkret beim Namen genannt? Warum wird nicht klipp und klar gesagt, dass es nicht länger hinnehmbar ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird? Dass es nicht länger hinnehmbar ist, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden?
Ich frage mich, wann die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten angesichts der dramatischen Lage mit Blick auf Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit endlich begreifen, dass es eben nicht einfach so weitergehen kann wie bisher. Der Neoliberalismus hat schlicht abgewirtschaftet, und es ist höchste Zeit für einen »wind of change« in Europa. Die Autorin ist stellvertretende Vorsitzende der linken GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament.
URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/140114.sozial-nicht-neoliberal.html