„Trügerische Stabilisierung, anhaltende Gewalt, schwache Regierung“
Nach der Rückkehr von seiner inzwischen neunten Reise seit 2003 in den Irak, nach Treffen mit hochrangigen Mitarbeitern der Regierung, Stammes- und Parteiführern, mit Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen, UN-Offiziellen sowie US-Diplomaten im Irak gelangt der Europaabgeordnete Dr.André Brie zu folgender Einschätzung:
„Der intensivierte Militäreinsatz der USA und die Tatsache, dass religiöse und ethnische Säuberung sowie die Separierung weit fortgeschritten sind, haben das Ausmaß der Gewalt im Irak gegenüber früheren Jahren etwas verringert. Doch das Bild ist nach Einschätzung aller meiner Gesprächspartner trügerisch“, sagt André Brie. Erstens gäbe es gerade eine neue Welle der Bedrohung und Vertreibung christlicher Irakerinnen und Iraker. Insgesamt sind mehr als zwei Millionen Menschen in das benachbarte Ausland geflohen; ähnlich hoch ist die Zahl von Irakerinnen und Irakern, die zu Binnenflüchtlingen wurden. Zweitens seien Provinzen und Städte wie Mossul, Diyala und Bagdad nach wie vor von Anschlägen und täglich einer großen Zahl von Morden sowie von religiösen und ethnischen Säuberungen gezeichnet. „Drittens sind alle zentralen Probleme nicht gelöst,“ fährt Brie fort, „darunter der massive Einfluss fundamentalistischer Kräfte in der Regierung und den Sicherheitskräften sowie das Fehlen einer handlungsfähigen irakischen Staatsführung; die katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen für die meisten Menschen; die Entscheidung über die Zugehörigkeit der Erdölprovinz Kirkuk zur kurdischen Region (die nach der Verfassung bis Ende 2007 durch eine Volksabstimmung geklärt werden sollte); die Verteilung der Erdölerlöse.“
Iraks Ministerpräsident al-Maliki sei zwar auf Distanz zu den fundamentalistischen Kräften gegangen. Seine Durchsetzungsfähigkeit sei jedoch äußerst gering und er selbst offensichtlich politisch und persönlich gefährdet. Brie erklärt: „Verteidigungs-, Innen- und Justizministerium werden nach wie vor von Fundamentalisten beherrscht.“ Die geplanten Provinz- wie auch die 2010 anstehenden zentralen Wahlen seien daher bereits heute Gegenstand zunehmender Auseinandersetzungen zwischen extrem islamistischen und gemäßigten Kräften und würden von zielgerichteter Gewalt gegen politische Gegner und religiöse Kontrahenten überschattet. „Die USA sind weder in der Lage noch bereit, das von ihnen verursachte Konfliktpotenzial einzudämmen“, so Brie. Einhellig sei ebenso die Kritik seiner Gesprächspartner an dem passiven Kurs der EU, was den Wiederaufbau und die politische Stabilisierung Iraks anbelange.