Linksfraktion im EP fordert „Soziale Fortschrittsklausel“
Der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Fragen des Europäischen Parlaments hat am 22. September 2008 einen Bericht über „Herausforderungen für Tarifverträge in der EU“ angenommen, welcher sich mit den Folgen der kontroversen Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu Streikrecht, Tarifverträgen und der EU-Entsenderichtlinie befasst (Viking Line, Laval, Rüffert, Luxemburg). Hierzu erklären Gabi Zimmer MdEP (Koordinatorin der EP-Linksfraktion im Beschäftigungsausschuss, DIE LINKE) und Mary Lou McDonald MdEP (Schattenberichterstatterin, Sinn Féin, Irland):
Linksfraktion im EP fordert „Soziale Fortschrittsklausel“
Der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Fragen des Europäischen Parlaments hat am 22. September 2008 einen Bericht über „Herausforderungen für Tarifverträge in der EU“ angenommen, welcher sich mit den Folgen der kontroversen Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu Streikrecht, Tarifverträgen und der EU-Entsenderichtlinie befasst (Viking Line, Laval, Rüffert, Luxemburg). Hierzu erklären Gabi Zimmer MdEP (Koordinatorin der EP-Linksfraktion im Beschäftigungsausschuss, DIE LINKE) und Mary Lou McDonald MdEP (Schattenberichterstatterin, Sinn Féin, Irland):
Der ursprüngliche Berichtsentwurf von Jan Andersson MdEP (SPE, Schweden) wurde im Ausschuss deutlich abgeschwächt. Dennoch hat die Linksfraktion einige wichtige Aussagen des angenommen Berichts aktiv unterstützt.
Der Schutz der Grundrechte, so wie sie in den Verfassungen der Mitgliedstaaten, den Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und in der Charta der Grundrechte enthalten seien dürfe nicht in Frage gestellt werden, erklärt Gabi Zimmer. Dies gelte insbesondere für das Streikrecht und das Recht, Tarifverträge abzuschließen und durchzusetzen.
„Wir unterstützen eine Revision der EU-Entsenderichtlinie, sofern sie die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bezug auf Arbeitsbedingungen, auskömmliche Einkommen über Mindestlöhne hinaus, die Anerkennung der verschiedenen nationalstaatlichen Traditionen von Tarifverträgen und industriellen Beziehungen, eine klare zeitliche Eingrenzung der Entsendung von Arbeitnehmern, Tariftreue und die Durchsetzung des Prinzips ‚Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit‘ deutlich stärkt“, betont Zimmer.
Es reiche aber bei weitem nicht aus, nur die EU-Entsenderichtlinie in diesem Sinne zu verbessern. „Wir haben gesehen, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestehende Bestimmungen der Entsenderichtlinie einfach beiseite geschoben hat, dass die Mitgliedstaaten über die Mindestvorschriften der Richtlinie hinaus ‚für die Arbeitnehmer günstigere Bedingungen‘ festschreiben können, “ erinnert die Europaabgeordnete.“Selbst wenn es gelingen sollte, weitere Klarstellungen durchzusetzen, könnte der EuGH einfach so weitermachen und diese ignorieren. Insbesondere zu Streikrecht und Tarifvertragsfreiheit brauchen wir dringend Klarstellungen im EU-Primärrecht, die der EuGH dann beachten muss“, erklärt Zimmer.
Die Mehrheit des EP-Beschäftigungsausschusses (Konservative, Liberale, Sozialdemokraten) habe die von der Linksfraktion eingebrachte Forderung des Europäischen Gewerkschaftsbundes nach einer ‚Sozialen Fortschrittsklausel‘ in Form eines Protokolls zu den EU-Verträgen rundheraus abgelehnt. Stattdessen unterstütze sie die grundsätzliche Argumentation des EuGH, wonach eine ‚Balance zwischen Grundrechten und den Grundfreiheiten des Binnenmarkts‘ im EU-Primärrecht zu verankern sei. „Dies ist das absolut falsche Signal“, so Zimmer, „der EuGH behauptet sogar, dass das Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde mit dem Gemeinschaftsrecht ‚in Einklang gebracht‘ werden müsse. Nach dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes ist die Menschenwürde aber unantastbar und ihr Schutz kann nicht mit Verweis auf unternehmerische Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes beschränkt werden. Wenn das EP bei der Abstimmung im Plenum Ende Oktober an dieser ‚Balance‘ festhält, dann akzeptiert es, dass Grundrechte und insbesondere das Streikrecht sowie die Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit wegen der unternehmerischen Grundfreiheiten des EG-Vertrags eingeschränkt werden können.“
Auch die irische Europaabgeordnete Mary Lou McDonald findet dies „völlig inakzeptabel“. „Grundrechte sind das unhintergehbare Fundament jeder grundrechtlichen und sozialstaatlichen Gesellschaftsordnung. Deshalb muss gelten: sofern es einen Konflikt zwischen dem Schutz der Grundrechte und den unternehmerischen Grundfreiheiten des Binnenmarktes geben sollte, müssen immer die Grundrechte Vorrang haben.“ Dieses Prinzip stehe im Zentrum der gewerkschaftlichen Forderungen nach einer ‚Sozialen Fortschrittsklausel‘. Die Mehrheit des Beschäftigungsausschusses habe diese einfach weggewischt. „Deshalb haben wir von der Linksfraktion im EP nicht für diesen Bericht gestimmt“, erklärt McDonald.
Das irische Nein zum Vertrag von Lissabon habe ein Fenster der Gelegenheit geöffnet, um die Verträge gründlich zu revidieren und die Stärkung von sozialen Grund- und Arbeitnehmerrechten anzugehen. „Die Mehrheit des EP-Beschäftigungsausschuss verschließt aber lieber Augen und Ohren vor dem demokratischen Votum des irischen Volkes und ‚begrüßt den Vertrag von Lissabon‘ – statt die nicht nur in Irland, sondern von Gewerkschaften aus ganz Europa erhobenen Forderungen nach einer Stärkung von Arbeitnehmerrechten in den Verträgen aufzugreifen“, so McDonald abschließend.