Die Guten ins Töpfchen …?
Kolumne von André Brie zur „Rückführungsrichtlinie“ der EU
André Brie, 8. Juli 2008, Kolumne für Disput, Juli 2008
Die Guten ins Töpfchen …?
Kürzlich erhielt ich einen Brief aus Frankfurt am Main. Unterzeichnet war er von Karl Kopp, dem Europareferenten von PRO ASYL, und dem Geschäftsführer der Organisation, Günter Burkhardt. Anlass des Schreibens war die so genannte Abschieberichtlinie, die Mitte Juni im Europäischen Parlament zur Beschlussfassung anstand. „Wir bitten Sie eindringlich, diesem Entwurf nicht zuzustimmen“, schrieben Kopp und Burkhardt. „Europa braucht keine Rückführungsrichtlinie um jeden Preis.“ Der Preis ist die Aufgabe von Grund- und Menschenrechten.
Natürlich habe ich den Vorschlag von EU-Innenministern und Europäischer Kommission abgelehnt – ebenso wie meine Fraktion, die Grünen und viele sozialdemokratische Abgeordnete. Trotzdem gab die Parlamentsmehrheit grünes Licht für die Richtlinie. Auch die Liberalen, die in ihren Sonntagsreden gern von Bürgerrechten und der Freiheit des Menschen sprechen, haben bei der Abstimmung demonstriert, dass ihre in unverbindlichen Entscheidungen zur Schau gestellte Liberalität in gesetzgeberischen Akten nicht existiert
Niemand wird bestreiten, dass Europa eine vernünftige und nachhaltige Migrationspolitik braucht. Diese aber muss vor allem in den Herkunftsländern der Flüchtlinge ansetzen, die auf der verzweifelten Suche nach Frieden, Schutz vor Gewalt und Verfolgung, nach einem Ausweg aus Armut und Hunger den gefährlichen Weg nach Europa suchen. Während ich diese Zeilen schreibe, laufen die Meldungen von 14 vor der Küste Spaniens ertrunkenen Flüchtlingen in den Nachrichtensendungen. Allein im vergangenen Jahr wurden fast 2.000 Menschen bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, getötet.
Aber statt zu helfen, hat sich Europa abgeschottet. Und in den vergangenen Monaten hat diese Politik immer restriktivere Züge erhalten. Im Frankreich des Nicolas Sarkozy wurde das Vorgehen gegen „Illegale“ massiv verschärft, aus maximal 32 Tagen „Ausweisungsgewahrsam“ wurden 18 Monate, der Nachzug von Angehörigen zu ihren seit Jahren in Frankreich lebenden Familien an DNA-Untersuchungen geknüpft. Es wurden sogar feste Abschiebequoten, die eine Prüfung der jeweiligen Fälle praktisch unmöglich machen, vorgegeben. In Italien werden auf Regierungsanweisung allen Sinti und Roma – selbst deren Kindern! – die Fingerabdrücke abgenommen. Auch dort können Migrantinnen und Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung künftig anderthalb Jahre in unmenschlichen Lagern und Gefängnissen festgehalten werden. Damit schließen Frankreich und Italien zu Europas Spitzenreiter in Sachen Abschottung auf: Deutschland. In der Bundesrepublik sind 18 Monate Abschiebehaft – die auch so bezeichnet und unter Gefängnisbedingungen „durchgeführt“ wird – seit langem möglich. Ausnahmen von der Abschiebepraxis sind selten und konnten zumeist nur im zähen juristischen Kampf oder mit großem Engagement von Bürgerinitiativen durchgesetzt werden.
Mit der Abschieberichtlinie erhält diese Politik eine noch zynischere Qualität. Die Einzelheiten sprechen für sich: „Illegale Einwanderer“ sollen künftig bis zu 18 Monaten inhaftiert werden können. Auch Kinder und Jugendliche, die sich ohne Eltern und Verwandte „widerrechtlich“ in der EU aufhalten, werden wie Schwerverbrecher behandelt, können eingesperrt und abgeschoben werden. Flüchtlinge und Migranten, die ausgewiesen werden sollen, können in normalen Gefängnissen festgehalten und damit nochmals kriminalisiert werden; ihre juristischen Möglichkeiten, gegen die Ausweisung vorzugehen, wurden stark eingeschränkt. Ausweisungen sollen künftig nicht nur in „sichere Drittländer“, sondern auch in Transitländer erfolgen. Dort könnte den Flüchtlingen Gewalt, Folter, sogar der Tod drohen. Damit nicht genug: Eine in der Richtlinie vorgesehene „Notstandsklausel“ soll das Aushebeln selbst der Minimalstandards beim Umgang mit illegalen Immigranten ermöglichen.
Wie um diesen Kurs zu bestätigen, setzten die EU-Innenminister vor wenigen Tagen noch den „Pakt für Einwanderung“ hinzu. Ausgeheckt wurde auch dieser Plan in Paris. Aber nicht die „Steuerung“ der Migration ist das Ziel, sondern eine Auslese der Immigrantinnen und Immigranten nach dem Motto „Die Guten ins europäische Wirtschaftstöpfchen, die Schlechten ins Gefängniskröpfchen“. Nichts anderes bedeutet das Vorhaben, die Einwanderung am Fachkräftebedarf der europäischen Wirtschaft auszurichten. „Illegale“ sollen dagegen noch konsequenter abgeschoben werden – wenn sie es überhaupt bis nach Europa schaffen. Denn auch die Frontex-Behörde, die die EU-Grenzen abschottet, wird nach dem Willen der Regierungen weiter ausgebaut. Ich befürchte, Karl Kopp und Günter Burkhardt werden noch viele Briefe schreiben müssen.
Quelle:
Disput Magazin