„Geredet wird viel, getan fast nichts“ Erfahrungsbericht einer Afghanistanreise
Der Anschlag auf Präsident Karsai war bei weitem nicht die blutigste Aktion während meines Afghanistanaufenthaltes Ende April. Die englischsprachige Tageszeitung „Daily Outlook Afghanistan“, die ich jeden Morgen vor meiner Hoteltür vorfand, berichtete täglich auf ein bis zwei Seiten über Selbstmordanschläge, die Sprengung von Brücken, Kampfhandlungen, Morde an Lehrerinnen und Lehrern, niedergebrannte Schulen. Davon bekommt man außerhalb Afghanistans kaum etwas mit.
Der Anschlag auf Präsident Karsai war bei weitem nicht die blutigste Aktion während meines Afghanistanaufenthaltes Ende April. Die englischsprachige Tageszeitung „Daily Outlook Afghanistan“, die ich jeden Morgen vor meiner Hoteltür vorfand, berichtete täglich auf ein bis zwei Seiten über Selbstmordanschläge, die Sprengung von Brücken, Kampfhandlungen, Morde an Lehrerinnen und Lehrern, niedergebrannte Schulen. Davon bekommt man außerhalb Afghanistans kaum etwas mit.
Der Angriff innerhalb der Hochsicherheitszone während einer Militärparade wirft dennoch ein besonderes Schlaglicht auf die aktuelle Situation des Landes. Er zeigte zum einen, wie die afghanischen Sicherheitskräfte von terroristischen und aufständischen Gruppen unterwandert sind. Zum anderen sind einflussreiche Gruppen, selbst in der Regierung, offensichtlich bereit, mit diesen Kräften gegen den Präsidenten zusammenzuarbeiten. Er und seine Regierung sind inzwischen in weiten Teilen der Bevölkerung diskreditiert.
Es gibt sehr wichtige positive Entwicklungen. Die grauenhafte Kindersterblichkeit ist um ein Fünftel zurückgegangen. Mehr als sechs Millionen Kinder, darunter auch die Mehrheit der Mädchen, können heute eine Schule besuchen. Die praktische Umsetzung der Verfassung und der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte, ist jedoch alles andere als befriedigend. Weite Bereiche Afghanistans, vor allem der Süden, Osten und Südwesten sind unsicher und außer Kontrolle. Ebenso ist es die von der Regierung ausgehende Korruption. Der Opiumanbau und Drogenhandel befindet sich auf Rekordniveau. Für viele der Ärmsten ist er das afghanische Hartz IV. Seit Jahresbeginn sind die Preise für Lebensmittel auf das Doppelte gestiegen. Karsais verbliebene Stärke ist die Bestechlichkeit, Unfähigkeit und Zersplitterung der Opposition, zu der einflussreiche Warlords gehören, die Verbrechen verübt haben, die nicht weniger brutal als die der Taliban waren.
Mehr als sechs Jahre nach der US-geführten Intervention ist die Bilanz ernüchternd. Es wäre höchste Zeit die Strategie der internationalen Gemeinschaft und der afghanischen Regierung grundlegend zu ändern. Geredet wird viel darüber, getan fast nichts. Die geopolitischen Interessen der USA, der „Krieg gegen den Terror“, bestimmen weiter die internationale Afghanistanpolitik, nicht die Interessen des seit dreißig Jahren von ausländischer Einmischung und Intervention gebeutelten afghanischen Volkes. Diese Strategie ist in der Sackgasse und droht, Afghanistan erneut in den Abgrund zu führen. Militärisch ist der Konflikt nicht zu gewinnen. Gesellschaftlicher Aufbau, afghanische Entscheidung über das eigene Schicksal und eine nationale Versöhnungspolitik sind die realistische und vernünftige Alternative.
Quelle:
Nordkurier, 8.Mai 2008