»Für Demokratie muss Gleichstellung existieren«

Oliver Händler

Umfassende Teilhabe von Frauen an EU-Entwicklungspolitik gefordert

ND: Obwohl Ihr Bericht gestern mit einer klaren Mehrheit angenommen wurde, hatte es
zuvor heftige Diskussionen über den Inhalt des Papiers gegeben. Welche Gründe gab
es für den Widerstand?
Feleknas Uca: Die Gegenstimmen kamen von den Konservativen. Wir hatten heftige
Diskussionen über die reproduktive Gesundheit von Frauen. Alle Passagen des Berichts,
welche damit im Zusammenhang stehen, wollten sie streichen. Gott sei Dank hatten wir die
Mehrheit. Ein Antrag der Konservativen besagte z.B.: »Abtreibung ist Mord!« Wir meinen
aber, dass jede Frau ihr soziales Leben selbst planen können sollte, ob es eine Entbindung
ist oder etwa im Fall einer Vergewaltigung abzutreiben. Dies gilt besonders in
konfliktbedrohten Entwicklungsländern. Und dort fordern die Konservativen ein gesetzliches
Verbot von Abtreibungen.
Sie haben das Strategiepapier der Kommission in manchen Punkten auch gelobt. Ist
es nun ein schlechtes Papier oder ein Schritt in die richtige Richtung?
Manche Punkte kann man unterstützen, manche sind aber auch kritikbedürftig. So geht das Papier nicht auf die Frage der
Religions- und Frauenrechte ein, die den Zugang für Frauen zur reproduktiven Gesundheit fördern. Da hat die Kommission nichts
gemacht. Sie setzt sich in dem Strategiepapier auch nicht ausreichend mit traditioneller Gewalt gegen Frauen auseinander. Das
fordern die Linken seit Jahren. Diese Formen der Gewalt, also Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Ehrenmorde etc. müssen
auf jeden Fall in ein solches Strategiepapier für Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt auch zu wenige Maßnahmen gegen
Analphabetismus und die großen Zahlen bei neuen HIV-Infektionen, von denen Frauen besonders stark betroffen sind.
Inwieweit fördern Fragen der Gleichstellung die Demokratie oder die Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern?
Erstens, für Demokratie muss Gleichstellung existieren. In vielen Entwicklungsländern produzieren Frauen bis zu 80 Prozent der
Agrarprodukte. Außerdem haben sie die Mehrheit der Wählerschaft. Trotzdem sind nicht einmal 15 Prozent der Abgeordneten
Frauen. Ohne gleiche Teilhabe von Frauen an politischen Prozessen und Institutionen ist es keine Demokratie. Zweitens, wenn
wir Armut bekämpfen wollen, kann man das nicht nur auf der wirtschaftlichen Ebene tun. Man muss auch das Bildungssystem
ändern. Der Zugang zu Bildung muss auch für junge Frauen möglich sein, die oft aus religiösen und wirtschaftlichen Gründen
nach der Grundschule zu Hause bleiben müssen.
Sie kritisieren wie die Kommission selbst auch, dass das Budget für Gleichstellungsmaßnahmen im Vergleich zum
Handelsbudget »unbedeutend« sei. Woran machen sie das fest?
Die Gelder sind wirklich minimal. Im letzten Entwicklungsbudget sind Mittel für Menschen- und Frauenrechte sowie für Bildung
sogar noch gekürzt worden. Mehr investiert wird dann lieber in Wirtschaft und Landwirtschaft.
Inwiefern stellt der Bericht eine Möglichkeit dar, die Position der Kommission zu beeinflussen?
Das wird sich zeigen. Bisher hat mir der Entwicklungskommissar Louis Michel keine Antwort auf die Frage gegeben, wie er zu
meiner Kritik steht. Mein Bericht hat keine rechtlich bindende Wirkung, wird aber der Kommission und dem Rat als
Referenzdokument dienen. Wir können im Anschluss bei der Kommission immer wieder nachfragen, ob wirklich alle von der
Handelspolitik profitieren, welche Projekte die Kommission gefördert hat, ob es die richtigen waren. Oft werden die
Organisationen unterstützt, die den örtlichen Regierungen nahe stehen. Die Nichtregierungsorganisationen, die wirklich intensiv
Armut bekämpfen und bei den Schwächsten sind, bekommen keine Unterstützung. Beim Monitoring – der Kontrolle, wohin die
Gelder der EU fließen – ist mehr Transparenz nötig.
Und wie kann die EU die Entwicklungsländer in ihren Fortschritten auf dem Gebiet der Gleichstellung kontrollieren?
Sind Sanktionen eine Lösung?
Hierzu ist das Sammeln gender-sensitiver Indikatoren nötig. Die Kommissionsstrategie legt zu wenig Wert auf qualitative
Indikatoren, also die Frage, wie sinnvoll und effizient Maßnahmen sind, anstelle rein quantitativer Analysen. Bei der jährlichen
Berichterstattung durch die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission bezüglich der gemachten Fortschritte sind ebenfalls
erhebliche Defizite zu bemängeln. Wir fordern unter anderem die Schulung der einheimischen männlichen Mitarbeiter der
Hilfsorganisationen. Ihnen muss erklärt werden, wie wichtig etwa Bildung oder reproduktive Gesundheit für Frauen sind. In einem
ähnlichen Projekt, für das ich die Schirmherrschaft übernommen habe, konnten wir erreichen, dass es in einer Region in
Tansania bis zu 70 Prozent weniger Genitalverstümmelungen gab. Das zeigt, dass Aufklärungsarbeit notwendig ist. Sanktionen
von oben treffen immer die Schwächsten. Wir müssen die Probleme von unten bekämpfen und dafür sorgen, dass wir gezielt die
Stimmen unterstützen, die sich für die Gleichstellung in dem Land einsetzen.

Quelle:
Neues Deutschland, 14.03.2008