Zurückhaltung in den politischen Reformforderungen bedeutet nicht die Stärkung der demokratischen Kräfte in der Türkei
Die Europaabgeordnete Feleknas Uca äußert sich zum Türkeibericht, der heute im Plenum abgestimmt wurde
Die Zusage des türkischen Premiers Erdoĝan, das Jahr 2008 zum Jahr der Reformen zu machen, habe auch ich mit Freude zur Kenntnis genommen. Diesen hoffnungsvollen Ankündigungen sind aber leider keine ebenso hoffnungsvollen Taten gefolgt. Im Gegenteil. Seit Anfang dieses Jahres ereilen uns bedauerlicherweise immer noch traurige und besorgniserregende Nachrichten über grenzüberschreitende Aktionen des türkischen Militärs, über Tote und Verletzte bei Gefechten im Südosten des Landes und an der türkisch-nordirakischen Grenze, über unverhält-nismäßige und brutale Übergriffe der Sicherheitskräfte auf insbesondere Kinder und Frauen während des kurdischen Newroz-Festes. Ich werde nicht das beklemmende Gefühl vergessen, dass mich überfiel, als ich die Aufnahmen sah, wie türkische Sicherheitskräfte einem minderjährigen Jungen vor laufender Kamera den Arm brechen oder wie sie einknüppeln auf bereits auf dem Boden liegende Alte und Frauen. Ich möchte an dieser Stelle auch an das brutale Vorgehen der Polizeikräfte während der 1. Mai Kundgebungen in Istanbul erinnern, wo friedlich marschierenden Menschen grundlos mit purer Gewalt begegnet wurde.
Der Bericht der niederländischen Abgeordneten Oomen-Ruijten spricht zwar wichtige Punkte an, bleibt aber, angesichts der Ernsthaftigkeit der politischen Lage in der Türkei, viel zu zaghaft. Um die Verantwortlichen in der Türkei nicht zu verärgern, werden die Herzstücke einer erforderlichen Reform nicht mit der notwendigen Klarheit gefordert. Hierzu zählen für mich ganz klar:
1. die zivile Einschränkung und Kontrolle des Einflusses des Militärs in der Türkei
2. die endgültige Loslösung von der Idee, die Kurdenfrage militärisch zu lösen und das klare Bekenntnis zu einer politischen Lösung und zu einer Aussöhnung
3. die bedingungslose Streichung des Artikels 301 und aller anderen die Meinungs-und Gedankenfreiheit beschränkenden Artikeln
4. eine klare politische Willensbekundung zur umfassenden Emanzipation der Frauen
Hier hätte der Bericht viel deutlicher und entschiedener ausfallen müssen.
Der Satz „Gut Ding will Weile haben“ mag ja im Leben auf die eine oder andere Sache zutreffen. Auf die Dringlichkeit politischer Reformen in der Türkei jedoch ganz bestimmt nicht. Dort kann eine Regierungspartei, die bei Parlamentswahlen 47% der Stimmen erhalten hat, morgen schon von einem Verbot bedroht werden. So wie im Falle der AKP. Parteienverbote haben aber in der Türkei leider eine traurige Tradition. Auch die pro-kurdische Partei für eine demokratische Gesellschaft DTP steht derzeit erneut vor einem Verbot. Bereits das achte in ihrer kurzen Parteiengeschichte. Durch zahlreiche Strafverfahren und Prozesse gegen Abgeordnete und Politiker der DTP, versucht man diese politisch Mundtot zu machen. Deswegen ist Europa in der Pflicht, unermüdlich auf die Herstellung und Gewährleistung rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen zu drängen. Dies ist notwendiger denn je. Vor einigen Wochen drangen die Machenschaften von „Ergenekon“ an die Öffentlichkeit, die hinter zahlreichen Anschlägen und Morden an Oppositionellen zu stecken scheint. Dieser undurchsichtige, im illegalen agierende kriminelle Verschwörerring hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Türkei von sogenannten „Vaterlandsverrätern“ zu befreien. Auf Ihr Konto geht vermutlich auch die Ermordung Hrant Dinks. Deswegen bedeutet Zurückhaltung in den politischen Reformforderungen eben nicht die Stärkung der demokratischen Kräfte in der Türkei, sondern die Aufrechterhaltung einer politischen Atmosphäre, die Gegner einer fortschrittlichen und demokratischen Türkei begünstigt. In diesem Lichte, gilt es den Bericht zu bewerten.