Schwerer Rückschlag für den europäischen Integrationsprozess

Zum Nein Irlands im Referendum über den Vertrag von Lissabon erklärt die Europaabgeordnete der Partei DIE LINKE, Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Verfassungsausschusses des Europäischen Parlaments:

Das mehrheitliche Nein aus Irland zum Vertrag von Lissabon ist ein schwerer Rückschlag für den europäischen Integrationsprozess. Alle seine politischen Folgen sind heute noch nicht absehbar.

Es waren einige hunderttausend Menschen in Irland, die sich mit ihrem Nein gegen eine dringend notwendige und umfassende Reform der Europäischen Union ausgesprochen haben – und zwar mit der Konsequenz, dass folgende Neuerungen des Reformvertrages, der das Zusammenleben von annähernd einer halben Milliarde Menschen in der EU betrifft, nicht in Kraft treten sollen:

Zum Nein Irlands im Referendum über den Vertrag von Lissabon erklärt die Europaabgeordnete der Partei DIE LINKE, Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Mitglied des Verfassungsausschusses des Europäischen Parlaments:

Das mehrheitliche Nein aus Irland zum Vertrag von Lissabon ist ein schwerer Rückschlag für den europäischen Integrationsprozess. Alle seine politischen Folgen sind heute noch nicht absehbar.

Es waren einige hunderttausend Menschen in Irland, die sich mit ihrem Nein gegen eine dringend notwendige und umfassende Reform der Europäischen Union ausgesprochen haben – und zwar mit der Konsequenz, dass folgende Neuerungen des Reformvertrages, der das Zusammenleben von annähernd einer halben Milliarde Menschen in der EU betrifft, nicht in Kraft treten sollen:

* keine Ergänzung der gemeinsamen europäischen Wertebasis um die Grundsätze der Gleichheit, des Minderheitenschutzes, des Pluralismus, der Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität
* keine verbindliche Grundrechtecharta mit individuell einklagbaren Rechten, das heißt unter anderem:
* kein Verbot des Klonens von Menschen
* kein grundrechtliches Verbot von Kinderarbeit
* kein Grundrecht auf gute Verwaltung
* keine verbindlichen sozialen Grundrechte
* kein Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention
* keine Ausweitung der individuellen Klagemöglichkeiten vor dem EuGH
* keine Stärkung der Gleichstellung der Geschlechter
* keine Verstärkung der Nichtsdiskriminierungspolitik

* keine sozialpolitische Querschnittsklausel, die die Kommission und die anderen Unionsorgane verpflichtet, für jeden einzelnen Rechtsakt dessen Sozialverträglichkeit nachzuweisen
* kein Wechsel vom Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb zum Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft im Binnenmarkt oder im Handel mit Drittstaaten
* keine Aufwertung der Daseinsvorsorge gegenüber dem Wettbewerbsrecht
* keine vertraglich vorgeschriebene Koordinierung von Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik
* keine Verpflichtung der Europäischen Zentralbank auf das Ziel der Vollbeschäftigung
* keine vertragsrechtliche Anerkennung der Rolle der Sozialpartner unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme
* keine vertragsrechtliche gesicherte Förderung des sozialen Dialogs
* keine vertragsrechtliche Achtung der Autonomie der Sozialpartner

* keine Einführung der europäischen Bürgerinitiative als einem wichtigen Schritt partizipativer Demokratie
* keine vertragliche Verankerung der europäischen Zivilgesellschaft als ein wichtiger Akteur der europäischen Politik
* keine Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens auf nahezu alle Bereiche der europäischen Politik
* kein volles Haushaltsrecht des Europäischen Parlaments
* kein Zustimmungs- bzw. Vetorecht des Europäischen Parlaments bei WTO- und anderen Handelsverträgen
* keine erweiterten Zustimmungs- bzw. Vetorechte des Europäischen Parlaments beim Abschluss internationaler Übereinkommen der EU mit Drittstaaten
* kein Zustimmungs- bzw. Vetorecht des Europäischen Parlaments bei Anwendung der Flexibilitätsklausel
* kein Initiativrecht des Europäischen Parlaments für künftige Vertragsänderungen
* keine vertragliche Absicherung der Konventsmethode für künftige Vertragsänderungen
* keine Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament
* keine Verpflichtung des Rates, beim Personalvorschlag für den Posten des Kommissionspräsidenten das Wahlergebnis der Europawahlen zu berücksichtigen
* kein Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, der als Vizepräsident der Kommission demokratischer Kontrolle und Verantwortlichkeit gegenüber dem Europäischen Parlament unterliegt
* keine Ausweitung der parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle über die polizeiliche Zusammenarbeit und die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, z. B. über Europol oder Eurojust
* keine vertragliche Pflicht des Rates zur Wahrung der Öffentlichkeit bei der Gesetzgebung
* keine Subsidiaritätskontrolle durch die nationalen Parlamente
* kein Klagerecht des Ausschusses der Regionen zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips

* keine Aufhebung der undurchschaubaren Säulenstruktur der EU
* keine Klarstellung der Zuständigkeitsbereiche der EU und der Kompetenzabgrenzung gegenüber den Mitgliedstaaten
* keine vertragliche Verankerung des Grundsatzes der Gleichheit der Mitgliedstaaten
* kein Austrittsrecht für einen Mitgliedstaat
* keine Stärkung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung als Bestandteil der nationalen Identität eines Mitgliedstaats
* keine vertragliche Verpflichtung zu gegenseitiger solidarischer Unterstützung im Katastrophenfall oder bei einem terroristischen Angriff
* keine Zuständigkeit des EU für Maßnahmen zur Förderung des Breitensports, des Tourismus und der Raumfahrt sowie des Katastrophenschutzes
* keine Zuständigkeit der EU für Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Gewährleistung einer gemeinsamen Energieversorgungssicherheit
* kein neuer Politikbereich „Humanitäre Hilfe“, um Einwohnern von Drittländern im Katastrophenfalle „gezielt Hilfe, Rettung und Schutz zu bringen“;
* keine Befugnis zu finanzieller Soforthilfe im Bereich der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Zusammenarbeit mit Drittländern
* keine Schaffung eines Europäischen Freiwilligencorps für humanitäre Hilfe

* keine vertragsrechtliche Verpflichtung der EU auf die strikte Einhaltung sowie die Weiterentwicklung des Völkerrechts
* keine Stärkung des Vorrangs ziviler Konfliktprävention
* keine vertragsrechtliche Verpflichtung der EU zur Zusammenarbeit mit der OSZE
* kein Europäischer Auswärtiger Dienst
* kein permanenter Präsident des Europäischen Rates
* keine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat auf nahezu alle Politikbereich
* keine Vereinfachung der Definition der qualifizierten Mehrheit als sogenannte „doppelte Mehrheit“ (55% der Mitgliedstaaten und 65% der Bevölkerung); keine Verstärkung des Schutzes kleiner Staaten durch Anhebung der Mindestanzahl von Mitgliedstaaten für eine Beschlussfassung von 14 auf 15; keine Anhebung der Sperrminorität als Schutz der kleinen Staaten vor Blockadehaltungen der großen Staaten
* keine Erhöhung der Abgeordnetenanzahl ab 2009 von 736 auf 751; keine zusätzlichen Abgeordneten für Frankreich (+2), Vereinigtes Königreich (+1), Spanien (+4), Polen (+1), Niederlande (+1), Schweden (+2), Österreich (+2), Bulgarien (+1), Lettland (+1), Slowenien (+1), Malta (+1); keine Reduktion der Anzahl deutscher Abgeordneter (-3)
* keine Verkleinerung der Kommission bei gleichzeitiger vertraglicher Garantie der strikt gleichberechtigten Rotation der Kommissarsposten zwischen den Mitgliedstaaten; stattdessen werden Größe und Zusammensetzung der Kommission in das Belieben des Rates gestellt und zwar ohne jede Verpflichtung zur gleichberechtigten Rotation
* keine Verbesserung des Verfahrens für die Auswahl europäischer Richter und Generalanwälte
* keine Vereinfachung der Gesetzgebungsverfahren
* keine vertragsrechtliche Garantie eines umfassenden Rechtsschutzsystems in der EU
* keine Abtrennung des Euratom-Vertrages von den Unionsverträgen als möglicher erster Schritt zu seiner völligen Abschaffung

Berlin, 13. Juni 2008