Ein neues Konzept ist nötig

Brüsseler Spitzen

Wie sich die Zeiten geändert haben: Wenige Wochen nach dem US-amerikanischen Einmarsch in Afghanistan im November 2001 hatte ich erstmals das Land besucht. Im paschtunischen Süden traf ich Stammesälteste, die überzeugt davon waren, dass nach 25 Jahren Krieg und nach dem Taliban-Regime ein Neuanfang notwendig und möglich sei. Noch 2003 konnte ich als einziger Ausländer völlig sicher und gastfreundschaftlich umsorgt in einer Kabuler Pension wohnen und mich allein durch das Land schlagen.

Das alles ist inzwischen undenkbar. Anschläge und Entführungen, selbst in Kabul, sind an der Tagesordnung. Sie treffen zumeist Helfer oder Vertreter von Firmen, die sich an Wiederaufbauprojekten beteiligen. Die Deutschen sind nur Beispiele, über die die Medien ausführlich berichteten. Andererseits sind die im »Krieg gegen den Terror« getöteten Zivilisten oft nur noch Randmeldungen wert, so wie das Vorgehen der Alliierten in Besatzermentalität oder die alle völkerrechtlichen Vorgaben ignorierende Jagd auf mutmaßliche oder tatsächliche Terroristen, die dem afghanischen Volk angeblich »dauerhafte Freiheit«, »Enduring Freedom« bringen soll. Dieser Kurs der USA und ihrer Partner hat Tausende afghanische Familien zu Feinden der Besatzer und der internationalen Gemeinschaft gemacht. Längst werden die US-Streitkräfte von der Mehrheit mit den früheren sowjetischen Besatzern gleichgestellt.

Dass mit militärischen Mitteln der Unsicherheit und dem Wiedererstarken der Taliban kaum beizukommen ist, weiß man natürlich auch in Deutschland. Doch die von Schröder proklamierte »uneingeschränkte Solidarität« mit der aggressiven Politik der USA wird weiter durchgesetzt. 400 Millionen Euro gibt die Bundesrepublik 2007 für die verfehlte Militärpolitik in Afghanistan aus, nur 120 Millionen Euro für den zivilen und wirtschaftlichen Aufbau. Es war maßgeblich die Okkupation des Landes durch die Sowjetunion, die die gesellschaftliche Zerstörung Afghanistans einleitete. Es waren die USA, die die zu jedem Verbrechen bereiten Kräfte zum Widerstand gegen die Sowjetarmee organisierten, finanzierten und ausrüsteten. Es waren schließlich die heutigen Bündnisgenossen der USA aus der Nordallianz, die Kabul und andere Landesteile endgültig bis zur Unkenntlichkeit zerschossen und mit ihrem Bürgerkrieg den Sieg der Taliban ermöglichten. Und die heutige Lage ist wiederum Ergebnis der internationalen Politik. Deshalb und weil die afghanischen Völker endlich eine friedliche und lebenswürdige Perspektive erhalten müssen, nicht wegen eines angeblich möglichen Sieges der Taliban, gibt es die Verantwortung, Afghanistan nicht erneut Zusammenbruch und Bürgerkrieg zu überlassen.

Die Beendigung der westlichen Militärpolitik muss mit einem grundlegend veränderten Konzept für die Stabilisierung der afghanischen Gesellschaft einhergehen. Sechs Jahre nach der USA-Intervention sind viele Möglichkeiten zerstört. Noch könnte es Lösungen geben. Zwei Probleme stehen dabei meiner Meinung nach im Vordergrund: Erstens braucht die Landwirtschaft eine attraktive Alternative zum Opiumanbau. Dazu benötigt sie finanzielle Unterstützung, einen Schutz vor dem »freien« Weltmarkt und verbesserte Produktionsmethoden. Damit im Zusammenhang steht die zweite zentrale Frage: Die gesamte internationale Hilfe muss endlich in die Hände und die Verantwortung der Afghanen selbst gelegt werden, statt sie als internationales Patronat zu organisieren. Das ist der Weg zu Wiederaufbau und Stabilität in Afghanistan. Die militärische Option hat in die Sackgasse geführt.
Von André Brie

Quelle:
Neues Deutschland