100 Jahre Internationaler Sozialistenkongress
Aus Anlass des hundertsten Jahrestages des Internationalen Sozialistenkongresses von 1907 trafen sich auf Einladung der Linksfraktion im Europäischen Parlament, GUE/NGL, am 21. September Sozialistinnen und Sozialisten aus drei Kontinenten in Stuttgart.
Aus Anlass des hundertsten Jahrestages des Internationalen Sozialistenkongresses von 1907 trafen sich auf Einladung der Linksfraktion im Europäischen Parlament, GUE/NGL, am 21. September Sozialistinnen und Sozialisten aus drei Kontinenten in Stuttgart. Sie debattierten Wege, um Welthandel und Entwicklungskooperation gerecht zu gestalten.
Gleich zu Beginn der Debatte zog Francis Wurtz Parallelen zur Situation von 1907. Der Fraktionsvorsitzende der Vereinigten Linken im Europäischen Parlament hob in seiner Eröffnungsrede hervor, dass die Zeit drohender Kriege in der Welt längst nicht überwunden sei. Besonders kritisierte er die zunehmend militärische Prägung der europäischen Außenpolitik: „Wir erleben die Rückkehr zu der Barbarei eines Krieges im Namen der Demokratie und der Menschenrechte, wie wir es im Moment in Irak und Afghanistan sehen“. Um diesen gefährlichen Trend zu stoppen, forderte Wurtz die Streichung der Artikel aus dem Reformvertrag der EU, die eine Anbindung der Mitgliedsstaaten an die NATO verpflichtend machen und durch die die Mitgliedsstaaten zur Erhöhung ihrer Rüstungsausgaben gezwungen werden sollen.
Als ein Konfliktinstrument der ökonomischen Art kritisierte Dr. Helmuth Markov die Handelspolitik der Europäischen Union. Der Europaabgeordnete der LINKEN, der auch Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel des Europäischen Parlaments ist, warf der EU-Kommission vor, lediglich an Liberalisierung und Freihandel interessiert zu sein. Die Kommission würde nicht berücksichtigen, dass der pure Freihandel zwischen zwei unterschiedlich starken Partnern nicht gerecht sein kann. Als Beispiel für unfaire Handelspraktiken der EU nannte Markov den Agrarsektor. „Es kann nicht sein, dass wir Entwicklungsländer zwingen, Freihandelsabkommen zu unterzeichnen und ihnen dann die Marktchancen auf ihren eigenen Märkten durch Export-Subventionen an unsere europäischen Landwirte wieder vernichten.“ Auch den Ansatz der derzeit geführten Verhandlungen über so genannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zwischen der Europäischen Union und den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifischen Raumes kritisierte Markov scharf. „Handel muss dazu beitragen, Armut zu reduzieren und sollte nicht aus Selbstzweck oder nur zur Profitmaximierung betrieben werden”, empörte sich der Wirtschaftsexperte.
Mit Blick auf die europäische Entwicklungspolitik stimmte die Delegationsvorsitzende für DIE LINKE im Europaparlament Gabi Zimmer in die Kritik an den WPA mit ein: „Die EU-Politik trägt noch immer kolonialistische und paternalistische Züge.Die WPA machen das mehr als deutlich.“
Der Europaabgeordnete Tobias Pflüger stellte auch die vermeintlichen militärischen Hilfsmissionen der EU in diesen Kontext. Als Beleg zitierte Pflüger den General der deutschen Truppen im Kongo, der öffentlich zugegeben habe, dass es bei der Mission darum ging, das wirtschaftliche Umfeld für deutsche Firmen zu verbessern. Auch die geplante EU Militäraktion im Tschad verurteilte Pflüger scharf: „Offiziell geht es natürlich um Flüchtlingshilfe, in Wahrheit allerdings geht es darum, das autoritäre Regime zu stützen und wirtschaftliche Vorteile für Europa zu erhalten“.
Den Anteil der europäischen Wirtschaftspolitik an der fortdauernden Misere afrikanischer Staaten brachte Timothy Kondo prägnant zum Ausdruck. „Nach der Unabhängigkeit konnten wir zwar unsere Staatsoberhäupter bestimmen, nicht aber über unsere Wirtschaft.“ Kondo ist Koordinator des Programms ANSA (Alternatives to Neo-Liberalism in Southern Africa) der Gewerkschaftsdachverbände des südlichen Afrikas. Er sieht die Zeit für eine zweite Unabhängigkeit gekommen. Optimistisch erklärte Kondo sogar, dass die neue Epoche bereits begonnen habe. „Ein Marsch von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt und den haben wir mit dem Start des ANSA-Programms getan.“
Dass internationale Kooperation und Handel auch anders strukturiert werden können, stellte der Staatsminister Boliviens, Dr. Hector Arce Zaconeta, am Beispiel seines eigenen Landes dar. In seiner häufig von Beifall unterbrochenen Rede schilderte er die Erfahrung seines Landes und die Reformstrategien der Regierung von Präsident Evo Morales. Als Grundpfeiler der neuen Regierungspolitik, durch die ein gerechteres Bolivien erschaffen werden soll, beschrieb der Minister das Konzept von der ‚Diplomatie der Völker‘ an Stelle einer Diplomatie der Eliten, durch das die Interessen der Eliten aus den internationalen Beziehungen herausgelöst werden sollen. Als zweiten politischen Kern nannte Arce Zaconeta das ‚Prinzip der Mitgliedschaft statt des Eigentums‘, welches die Bevölkerung am Reichtum des Landes beteiligt und den Missbrauch von wirtschaftlicher Macht erschwert.
Bolivien wird auf seinem neuen Weg durch Venezuela unterstützt. Das Land wurde auf dem Kongress durch Désirée Santos Amaral vertreten, die Vize-Präsidentin der Nationalversammlung. In ihrem Beitrag betonte sie den revolutionären Charakter der laufenden Verfassungsreform. Sie gab sich sicher, beim bevorstehenden Referendum über die Reform eine sehr breite Mehrheit zu gewinnen. Der Bevölkerung sei bewusst, dass durch die neue Verfassung der Wohlstand des Landes in ihre eigenen Hände gelegt werden würde.
Ein demokratisches Referendum über den neuen Grundlagenvertrag der Europäischen Union hätte sich auch Dr. Gregor Gysi gewünscht. Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag war einer der Hauptredner des Kongresses. In seiner wie so oft mitreißenden Rede prangerte er an, dass soziale Missstände heute die Hauptursache aktueller Konflikte seien. „Terrorismus bekämpft man nicht mit Bomben“, so Gysi. Wenn man Frieden wolle, sowohl national als auch international, dann müsse man soziale Gerechtigkeit herstellen. Vehement verlangte er gewaltfreie und nachhaltige Lösungen für die Konflikte des 21. Jahrhunderts.
Am Folgetag wurden die Erkenntnisse des Kongresses durch eine Kundgebung auf dem Stuttgarter Wilhelmsplatz direkt vor dem Hauptquartier der baden-württembergischen SPD auf die Straße getragen. Neben den Hauptrednern Oskar Lafontaine und Gregor Gysi sprachen dort für die Fraktion GUE/NGL Francis Wurtz und Helmuth Markov.
Im Anschluss richtete die Bundestagsfraktion DIE LINKE. erstmals eine Konferenz im Stuttgarter Rathaus aus. Während vor dem Gebäude die roten Fahnen wehten, diskutierten Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger mit internationalen Gästen erneut die Themen des Kongresses von 1907: Militarismus, das Elend der ArbeitsmigrantInnen, die Beziehung zwischen Gewerkschaften und Parteien und Frauenrechte – allesamt Themen, die nach wie vor große Aktualität besitzen. Die GUE/NGL wurde in dieser Debatte von den Europaabgeordneten Eva-Britt Svensson (Vänsterpartiet, Schweden) und Sahra Wagenknecht vertreten.