Schrecken der Ehrlichkeit
KOMMENTAR / Darf mit den Taleban verhandelt werden?
Das Thema taugt für Emotionen: Um die Freilassung der südkoreanischen Geiseln zu erreichen, hatte die Regierung des ostasiatischen Landes jüngst direkt mit den afghanischen Taleban verhandelt und damit wohl oder übel einen Präzedenzfall geschaffen. Das jedoch war nicht der einzige Tabubruch, den sich Seoul vorhalten lassen musste. Schließlich wurden die Gespräche ohne Vermittler unumwunden eingestanden, ja sogar zuvor öffentlich angebahnt. Auch dass viel Geld für die Freiheit der christlichen Missionare geflossen ist, steht außer Frage.
Sicher, der Umgang mit den Taleban ist eine Gratwanderung. Letztlich – so betonen Kritiker des südkoreanischen Vorgehens zu Recht – wurde mit den direkten Verhandlungen der Gewalt nachgegeben. Allenthalben wird beklagt, dies sei eine direkte Einladung zu weiteren Geiselnahmen.
Doch diese Vorwürfe und Aufregungen sind so gespielt wie verlogen. Ein solches Urteil drängt sich geradezu auf und das aus mehreren Gründen: Einer davon ist, dass viele Politiker und selbsternannte Experten gerade im Westen die tatsächliche Lage in Afghanistan von Anfang an nicht wahrhaben wollten – oder nicht einmal kannten. Eine kolonial gefärbte militärische Besatzungspolitik und ein konzeptionsloses Demokratisierungsgerede haben – kaum überraschend – Ablehnung und Widerstand in nationalen Dimensionen entfacht. Daran sind die Briten bereits vor anderthalb Jahrhunderten gescheitert, und der Sowjetunion blieb die gleiche blutige Erfahrung zwischen 1979 und 1989, bis zum Abzug ihrer Truppen, nicht erspart.
Als im Frühjahr der SPD-Vorsitzende Kurt Beck die Einbindung der Taleban in einen Friedensprozess ins Gespräch brachte und – zugegeben unglücklich formuliert – Kontakte zu „gemäßigten Taleban“ anregte, war das ein durchaus realistischer Ansatz. Denn es gibt nicht die Taleban, auch wenn es der Selbstvergewisserung dienen mag, sich auf diese Nivellierung einzulassen. Deren Bewegung ist heterogen, wechselhaft und extrem aufnahmefähig, seit die westliche Kriegspolitik dafür sorgt, dass die Gotteskrieger viel Zulauf finden. Das Spektrum der Gegner von internationaler Besatzungs- und Kabuler (Nicht-)Politik reicht von den bitterarmen Bauern im paschtunischen Süden und Osten über jene Afghanen, die Familienangehörige – besonders Frauen und Kinder – in dem von den USA geführten Krieg verloren haben, bis zu fanatischen Anhängern einer menschenverachtenden Auslegung des Islam, wie er heute vorzugsweise in nicht wenigen pakistanischen Koran-Schulen gepredigt wird. Abgesehen davon finden sich in der prowestlichen Regierung des Präsidenten Karzai zahlreiche Kriegsherren, die kaum weniger brutale Verbrechen als die Taleban zu verantworten haben, aber keine Sühne fürchten müssen.
Es führt daher kein Weg daran vorbei – ohne die breiteste Teilhabe der sehr unterschiedlichen und in den meisten Fällen alles andere als demokratischen politischen Lager am Hindukusch bleibt ein halbwegs stabilisiertes und befriedetes Afghanistan (und nur darum, nicht um eine Demokratie kann es gegenwärtig gehen) eine Illusion.
Nebenbei bemerkt, haben die Emissäre der südkoreanischen Regierung nichts getan, was andere Unterhändler mit einem vergleichbaren Mandat in vergleichbaren Fällen nicht auch zu tun pflegen. Die in Libyen grundlos festgehaltenen Krankenschwestern aus Bulgarien wurden ganz offiziell freigekauft, sogar mit Hilfe der Europäischen Union. Auch die Bundesregierung hat für deutsche Geiseln offenbar immer wieder Lösegeld gezahlt. Wenn nun mit dem Finger auf Seoul gezeigt worden ist, geschah das in einem Anflug von Populismus, um nach außen Kompromisslosigkeit gegen den „internationalen Terrorismus“ vorzuführen und nach innen den Hochsicherheitsstaat voranzubringen.
Insofern lässt sich die besonders in Deutschland nicht verstummende Erregung auch so erklären: Südkorea hat nicht mehr und nicht weniger getan, als einen Offenbarungseid für die fehlschlagende Afghanistan-Politik des Westens zu leisten. Während man sich hierzulande weiter in die Tasche lügt, vor allem die eigene Bevölkerung und die eigenen Soldaten täuscht, hat die südkoreanische Regierung unfreiwillig zugeben müssen, dass der westliche Kaiser nach sechs Jahren Hightech-Krieg nackt da steht und mit seinem Gegner nach einem modus vivendi des Umgangs suchen sollte. Das – nur das – nimmt man Seoul übel.
Freitag, 14. September 2007
Quelle:
Freitag