Ohne Sozial-Union oder keine weitere Integration
„Europaweiter Widerstand, insbesondere der linken Kräfte, gegen Neoliberalismus und neoliberale EU- Politik ist dringend erforderlich und muss deutlich stärker, öffentlichwirksamer und nachhaltiger werden“, schreibt André Brie in Neues Deutschland.
Die neoliberale Offensive läuft. Nicht nur, aber mit besonderer Schärfe auch in Europa. Das jüngste, und wohl auch eines der eklatantesten Beispiele dafür ist die „Umstrukturierung“ bei Airbus, die Tausende Arbeitsplätze in Großbritannien, Spanien, Frankreich und Deutschland kosten soll. Aber ebenso bezeichnend wie das Vorgehen des EADS-Konzerns ist die Reaktion der Betroffenen: Natürlich wird protestiert und gestreikt, allerdings schön im eigenen Land und unabhängig voneinander. Dass dabei Grußschreiben ausgetauscht werden, ist eher protokollarischer Natur.
Europaweiter Widerstand, insbesondere der linken Kräfte, gegen Neoliberalismus und neoliberale EU- Politik ist dringend erforderlich und muss deutlich stärker, öffentlichwirksamer und nachhaltiger werden. Das aber verlangt auch, ihn mit konstruktiven, sozialen und demokratischen Alternativen zu verknüpfen. Keine politische Kraft könnte heute proeuropäischer sein als die Linke, wenn sie den Kampf für eine soziale Orientierung der EU nicht nur verbal führen würde. Dazu muss sie sich den Gegebenheiten und der Frage stellen, ob sie die weitere Integration will, welche Integration sie will, welche Antworten sie für die gravierenden Herausforderungen hat. Ausgesprochen und unausgesprochen gibt es auch in der deutschen Linken antieuropäische Positionen, die teilweise mit ernst zu nehmenden Argumenten vertreten werden.
Ich teile die Kritik an der EU-europäischen Realität: an der Dominanz des Marktradikalismus, an der Abschottung gegenüber dem Süden, an der Einschränkung von Bürger- und Menschenrechten, am Demokratiedefizit, an den machtpolitischen und militärischen Ambitionen in den internationalen Beziehungen und der äußerst unterentwickelten Bereitschaft, die europäischen Außenpolitiken auf die Stärkung der UNO und des Völkerrechts auszurichten. Die inzwischen nicht mehr unwahrscheinliche Desintegration und Renationalisierung und eine klammheimliche Freude eines Teils der Linken am Scheitern der Europäischen Union ist jedoch keine verantwortungsvolle Alternative. Denn am Ende stünde ebenfalls eine neoliberale und sozial zerstörerische europaweite Freihandelszone, die aber, anders als die EU, nicht nur schwierige und unzureichende, sondern gar keine demokratischen und sozialen Gestaltungsmöglichkeiten erlaubte.
Will die Linke der Zerstörung sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit in den Nationalstaaten wirkungsvoll entgegentreten, so muss sie zugleich für soziale Kohäsion und Solidarität in der EU eintreten, für eine europäische Binnenmarktpolitik, für die Reform des Maastrichter Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die Veränderung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, für einen entscheidenden europäischen Beitrag zur Reregulierung des Weltfinanzsystems sowie für europäische Standards bei Unternehmenssteuern, Löhnen, Sozialleistungen, gewerkschaftlichen Rechten.
Der Streit für eine soziale Alternative und für ein vereintes Europa ist in dieser Hinsicht untrennbar miteinander verknüpft. Die tiefe Krise der europäischen Integration ist zugleich die Chance ihrer grundlegenden Erneuerung. Letzten Endes ist die weitere europäische Integration nur noch denkbar, wenn sie zu einer Beschäftigungs- und Sozialunion geführt wird. Diesem Thema muss sich die Linke stellen – auch auf Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Linksfraktion des Europaparlaments am Wochenende in Berlin.
Quelle:
Neues Deutschland