Über Jahrzehnte ein zuverlässiger Partner
André Brie: Der EU fehlt eine Strategie
ND: Tallinn, Raketenschild, Fleischexport – die EU scheint in den Beziehungen zu Moskau derzeit alles falsch zu machen.
Brie: Der Eindruck ist richtig. Die EU und speziell die deutsche Ratspräsidentschaft haben sich in keiner Weise um ein wirklich strategisches Verhältnis zu Russland bemüht. Wenn man die Entwicklung daran misst, dass die Bundesregierung die Beziehungen zu Moskau und die Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen zu Schwerpunkten ihrer EU-Präsidentschaft gemacht hat, ist die Bilanz enttäuschend, ja sogar empörend.
ND: Die EU-Politik gegenüber Russland steht also auf keiner tragfähigen Basis?
Brie: Es gibt keine Strategie für die Entwicklung der Beziehungen – weder die Fähigkeit, konsequent, aber auch mit der notwendigen Selbstbescheidenheit die Fragen von Menschenrechten und Demokratie zu verfolgen, noch eine Konzeption, die tatsächlich darauf ausgerichtet ist, zu Russland ein gleichberechtigtes Verhältnis auch in politischen Fragen zu entwickeln. Der einzige Pfeiler, der steht, sind die ökonomischen Beziehungen. Das Hautproblem besteht nach wie vor darin, dass innerhalb der Europäischen Union völlig unterschiedliche Positionen zum Umgang mit Russland bestehen und seitens der deutschen Ratspräsidentschaft keine aktive Politik verfolgt wurde, um eine gemeinsame Haltung zu entwickeln und den antirussischen Ideologismus zu überwinden.
ND: Dafür wurden aber Positionen Washingtons, insbesondere in der Frage des Raketenschildes, nahezu kritiklos übernommen.
Brie: Bei dem Raketenschild ist das ganz eindeutig der Fall. In anderen Fragen ist es leider so, dass wir seit der EU-Osterweiterung in einigen Ländern irrationale antirussische Positionen haben, die von der Mehrheit der Mitglieder nicht zurückgewiesen werden.
ND: Wird mit einer konfrontativen Politik gegenüber Moskau nicht die von der EU in den Vordergrund gerückte Versorgungssicherheit bei Energielieferungen gefährdet?
Brie: Es gibt zwar sicher Einflüsse, aber diese halte ich nicht für dramatisch. Dafür sind die Interessen auf beiden Seiten zu stark. Zumal sich Russland in den vergangenen Jahrzehnten, von der Sowjetunion bis heute, als zuverlässiger Partner in dieser Frage erwiesen hat. Im Gegensatz übrigens zu allem Gerede, was es in dieser Hinsicht immer wieder gibt.
ND: Wie können EU und Russland wieder in einen konstruktiven sachlichen Dialog kommen?
Brie: Man muss vor allem erst einmal innerhalb der EU eine vernünftige Position entwickeln. Eine Haltung, die auf Gleichberechtigung und auf Zukunft der Zusammenarbeit orientiert, statt das Verhältnis immer wieder mit ideologisierten Vorurteilen aus der Vergangenheit zu belasten. Daneben brauchen wir dringend die Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Abkommen. Die Gespräche müssen dabei auf eine neue Qualität gerichtet sein, so, wie das ursprünglich auch konzipiert war. Beispielsweise gab es die Vorstellung, sich am deutsch-französischen Elysée-Vertrag zu orientieren, Beamte auszutauschen und damit auch untere Ebenen direkt in die Kooperation einzubeziehen. Wesentlich sind die Entwicklung einer echten politischen Partnerschaft und von wirtschaftlichen Beziehungen, die sich nicht nur auf den Energiesektor beschränken.
Fragen: Uwe Sattler
Neues Deutschland, 18. Mai 2007
Quelle:
Neues Deutschland