Nicht nur für die Katz
Helmuth Markov beschäftigt sich im Europa-Parlament mit Richtlinie zur Verkehrssicherheit
STRASSBURG Beinahe wäre die ganze Arbeit für die Katz gewesen. Dann hätte Helmuth Markov von der Linkspartei all die Experten umsonst eingeladen. Ein einziger Antrag schien dafür auszureichen. Nun aber will sich das Europäische Parlament doch noch mit dem Straßenverkehr beschäftigen.
Von Dietmar Stork
Das Parlamentsgebäude in Straßburg gleicht ein bisschen einem Ameisenhügel – vor allem in diesen Tagen, in denen sich die Politiker zur Sitzungswoche treffen, ihre Mitarbeiter aus Brüssel mitbringen und zusammen mit den Beschäftigten der Europäischen Union sowie zahlreichen Besuchergruppen für ein Gewusel auf den Gängen sorgen.
Der Ameisenhügel, in dem sich alle bewegen, ist übrigens ein recht komplizierter. Wer von den Abgeordnetenbüros auf die Besuchertribüne über dem Plenarsaal gelangen möchte, fährt erst mit dem Aufzug ein paar Etagen tiefer, um mit einem anderen Aufzug ein Stockwerk höher zu kommen. Über eine Rolltreppe fährt man dann noch einmal zwei Ebenen höher ans gewünschte Ziel.
„Ich habe mein Büro tatsächlich gefunden“, erzählt eine Abgeordnete. „Ich habe nur anderthalb Stunden dafür gebraucht.“ Vermutlich ist der Satz nur halbwegs scherzhaft gemeint. Auch Markov, der seit 1999 für die Linkspartei im Europäischem Parlament, berichtet, wie er sich anfangs in dem Gebäude verlaufen hat. Die Parlamentarier, muss man dabei wissen, tagen nur einmal im Monat in Straßburg, ansonsten finden die Sitzungen in Brüssel statt.
Der aus Hennigsdorf stammende Markov wird all die Aufzüge mit ihrem schwer zu durchschauenden System bis heute Nachmittag, wenn die Parlamentswoche in der elsässischen Stadt endet, unzählige Male benutzt haben. Wenn die Politiker tagen, reiht sich ein Termin an den anderen. Mittags finden die Abstimmungen im Parlament statt, dann ist es dort gut gefüllt. Ansonsten sitzen in den Stuhlreihen oft nur die jeweiligen Spezialisten der einzelnen Fraktionen. Für Besuchergruppen sieht es dann so aus, als würden sich die Politiker vor der Arbeit drücken. Aber das stellt sich schnell als ungerecht heraus, wenn man einen Abgeordneten für ein paar Tage begleitet.
Der Montagnachmittag – um zu einem beliebigen Zeitpunkt dazu zu stoßen – führt zum Beispiel eine Besuchergruppe aus Brandenburg ins Parlament. Der Landesverband Brandenburg der Deutschen Justiz-Gewerkschaft ist mit 45 Teilnehmern, darunter auch aus Oberhavel und Ostprignitz-Ruppin, in der Region unterwegs.
Weil die Fahrt auf Vermittlung Markovs organisiert wurde und sein Wahlkreismitarbeiter Giso Siebert den Reiseführer gibt, treffen sie sich für zwei Stunden mit dem Politiker. Der erklärt, wie das Parlament funktioniert, beantwortet Fragen – und entschwindet in Richtung Plenum, wo gerade so etwas wie eine aktuelle Stunde stattfindet.
Eine skurrile Veranstaltung: Eine Engländerin weist auf Überschwemmungen in ihrer Heimat Yorkshire hin und hofft auf Mittel aus dem EU-Katastrophenfonds. Andere kümmern sich um weit profanere Dinge, ein Rugby-Spiel etwa. Ein bisschen, so scheint es, geht es hier auch um Profilierung vor dem Wähler.
Markov eilt anschließend zu einer Sitzung des Fraktionsvorstands der Linken, die – wie sich anderntags herausstellt – ausgesprochen kompliziert wird, bevor endlich Feierabend ist.
Termine, Termine, Termine. So geht es auch am Dienstag weiter. Morgens redet im Plenarsaal wiederum eine übersichtliche Gruppe von Politikern über die Liberalisierung der Post. „Das wurde auch schon sehr oft diskutiert“, rechtfertigt Markov. Mittags sind immerhin knapp 700 Parlamentarier bei der Abstimmung anwesend.
Für den Linken aus Oberhavel stehen am Nachmittag ebenfalls andere Termine außerhalb des Plenums im Vordergrund: zunächst eine nicht-öffentliche Sitzung aller Ausschussvorsitzenden (Markov steht dem für internationalen Handel vor), anschließend trifft sich die „Steering Group“, eine Gruppe Parlamentarier, die die Arbeit der Welthandelsorganisation WTO begleitet.
Die Politiker haben ihre Hausaufgaben schon zuvor gemacht, nun geht es vor allem um kommende Termine. Und darum, ob einem italienischen Abgeordneten, der kein Englisch spricht, ein Übersetzer zugeteilt wird. Nach den Parlamentsregeln geht das nicht, also wird der Italiener den Sitzungen fernbleiben. Als Außenstehender fragt man sich, ob ein Politiker der nicht einmal Englisch spricht, sich ins Europäische Parlament wählen lassen sollte.
Vermutlich darf man sich solche Fragen als unbedarfter Beobachter gar nicht stellen, auch nicht in der anschließenden Fraktionssitzung der Linken. Da streiten sich konkurrierende portugiesische Abgeordneten darüber, wer bei einer demnächst anstehenden Schulungstagung in Lissabon an oberste Stelle auf eine Rednerliste darf.
Dazu muss man wissen, dass die Linke im Europa-Parlament teilweise auch mehrere Parteien aus einem Land vereint, die recht unterschiedliche Ansichten haben. Wer – um „Das Leben des Brian“ zu zitieren – hier sozusagen die Volksfront von Judäa darstellt und wer die judäische Volksfront, wird zwar nicht ganz klar, aber selbst dem so bedächtig wirkenden Fraktionsvorsitzenden Francis Wurtz platzt irgendwann der Kragen. Für das eigentliche Thema – der Vertrag über die Europäische Union – bleibt dann nur noch wenig Zeit.
Markov eilt spätabends erneut ins Parlament, ganz am Ende der Sitzung steht seine Anfrage über die Wirtschaftsbeziehungen zu China auf der Tagesordnung. Mit der ist der Oberhaveler überraschend erfolgreich, ihm hört nicht nur noch der Saaldiener zu, stattdessen ist der zuständige EU-Kommissar Peter Mandelson anwesend, und 13 Abgeordnete haben ebenfalls noch Anmerkungen zu dem Thema, bevor um 23:57 Uhr das Parlament Feierabend macht.
Nur der „Vorschlag für eine Richtlinie über ein Sicherheitsmanagement für die Europäische Straßenverkehrsinfrastruktur“, über den Markov an diesem Tag im Plenum berichten wollte – um den geht es gar nicht mehr. Das liegt an einer dieser seltsamen Koalitionen, die sich wohl nur im Europa-Parlament für einzelne Abstimmungen bilden: Konservative, Liberale und Grüne stimmen gemeinsam gegen den Vorschlag, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. „Witzig“, sagt Markov, sei besonders die Begründung der Grünen: Die wollen erst einmal weitergehende Vorschriften für Autofahrer erlassen. Vorher wollen sie über keine andere Maßnahme zur Verkehrsssicherheit reden.
Dabei hat das Papier ambitionierte Ziele: Eine verbesserte Infrastruktur könnte nach Ansicht der EU-Kommission rund 600 Menschenleben im Jahr retten. Markov plädiert dafür, die Richtlinie nicht nur auf das transeuropäische Straßennetz (zu dem auch die B 96 zählt) anzuwenden, sondern auf alle Autobahnen und Hauptstraßen. Das würde weitere rund 1 300 Verkehrstote weniger pro Jahr bedeuten, schätzt Markov.
Die Richtlinie, das sagt der Name schon, beschäftigt sich mit der Infrastruktur. Überall in Europa müssten dann Experten geplante Straßen – wie die neue B 96 von Oranienburg Richtung Norden – auf das Thema Sicherheit begutachten, auch das bestehende Netz würde regelmäßig überprüft. Was Markov freut: „Hunderte Organisationen“, wie der ADAC, Beton-Produzenten oder Polizei-Vertreter, haben die Richtlinie begrüßt. „90 Prozent meiner Vorschläge fanden die Zustimmung der Experten“, berichtet er. Als der Ausschuss die Richtlinie ablehnte, hätten die Interessensvertreter vehement gegen die Entscheidung protestiert. Nun bekommen die Richtlinie – und damit der Bericht Markovs – eine zweite Chance. Weil die Liberalen ihre Meinung revidiert haben, geht das Thema zurück in den Ausschuss. Womöglich war also doch nicht all die Arbeit für die Katz.
Aus: Oranienburger Generalanzeiger vom 13. Juli 2007
Quelle:
http://oga.mzv.net/lokales/story.php?id=24136#