Tatbestand des Völkermords erfüllt?

Europaabgeordneter André Brie berichtet nach Irak-Reise über dramatische Situation. Scharfe Kritik an USA-Strategie: „Nicht einmal die Rhetorik ist neu.“

Nach seiner Ausreise aus dem Irak hat der Europaabgeordnete André Brie die Situation in dem Land als außerordentlich dramatisch eingeschätzt. Angesichts Hunderttausender Toter stelle sich die Frage, ob der Tatbestand des Völkermords erfüllt sei, berichtete der Parlamentarier am Dienstag aus Amman. Gemeinsam mit dem portugiesischen Europaabgeordneten Paulo Casaca hatte der Linkspartei-Politiker unter anderem Erbil sowie die Provinz Diyala besucht. Während der Reise und den verschiedenen Veranstaltungen kam es laut Brie zu Begegnungen mit mehr als 4.000 Menschen; mit etwa 150 Irakern sind die Abgeordneten direkt zusammen getroffen.

Nach Angaben des Parlamentariers hält die Empörung über Art und Weise sowie Zeitpunkt der Hinrichtung Saddam Husseins weiter an. „Ich bin mir sicher, dass dieses Vorgehen weitere große Teile der Bevölkerung in die Hände der Aufständischen treiben wird“, so Brie. Das Bild, das in tonangebenden europäischen und US-amerikanischen Medien über die Lage im Irak gezeichnet werde, entspreche nicht den Realitäten. Die Situation sei weit brisanter und gespannter, kritisierte der Politiker die Berichterstattung. Es gehe nicht um sektiererische Gewalt, sondern um eine Gewalt, die von fundamentalistischen Kräften ausgehe. Zwar hebe sich die Situation in den kurdischen Gebieten deutlich von den anderen Landesteilen ab; allerdings sei auch im Nordirak die Empörung gegenüber der irakischen Regierung und den US-Besatzungstruppen groß.

Die fortgesetzte Besetzung durch das US-Militär und die massive Infiltration durch Iran, die von allen Gesprächspartner betont worden sei, bezeichnete Brie als Grundprobleme der Sicherheit im Irak. Hinzu komme die faktische Handlungsunfähigkeit der irakischen Regierung. Das Kabinett Al-Maliki sei völlig diskreditiert, konstatierte Brie nach seinen Gesprächen.

In scharfer Form kritisierte der Abgeordnete, dass die EU nicht zu einer aktiven Politik oder zur Entwicklung von Alternativem im Irak in der Lage sei. Auch die überarbeitete Irak-Strategie der USA sei keineswegs neu, so Brie. „Nicht einmal die Rhetorik ist neu.“