Merkel unterscheidet sich nicht von all jenen, die immer wieder Visionen verkünden, aber dabei die Bevölkerungen vergessen

Zur Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch vor dem Europaeischen Parlament in Strassburg erklàrt die Delegation der Linkspartei.PDS:

„Die Rede der Bundeskanzlerin fordert sowohl Zustimmung als Kritik heraus. Zustimmung dafür, dass die Bundeskanzlerin im Sinne guter Marxscher Dialektik große Europäerinnen und Europäer von Platon über Voltaire bis Rosa Luxemburg bemühte. Kritik dafür, dass ihre Ansprache an das Europäische Parlament viele Widersprüche sowie sehr enge Sichten enthielt und damit die Chance für einen Aufbruch verpasst wurde.

Frau Merkel hat Recht: Freiheit ist auch immer die Freiheit der Andersdenkenden und Freiheit muss täglich neu erkämpft werden. Diese Freiheit, von der Frau Merkel spricht, gilt längst nicht für alle in der EU lebenden Menschen. Weder gilt sie für Millionen von Menschen ohne Papiere noch für die täglich an den EU-Außengrenzen eintreffenden Flüchtlinge. Die Bilder von Ceuta, Melilla und Lampedusa sind allen gegenwärtig.

Wahr ist aber auch, dass Freiheit nur möglich wird in sozialer Gleichheit. Denn Millionen Menschen, die täglich neu ausgegrenzt werden, arbeitslos sind, von ihren Einkommen nicht in Würde und selbst bestimmt leben können, die nur unzureichend Zugang zu Kultur und Bildung haben, die obdachlos sind – ihnen allen werden grundlegende Freiheits- und soziale Menschenrechte innerhalb der EU verweigert!

Die Visionen der Bundeskanzlerin gehen an den Realitäten der heutigen Europäischen Union vorbei. In ihr fanden kaum Aussagen Platz, die eine Neuorientierung der EU zur sozialen Union einleiten, die verbindliche soziale und ökologische Mindeststandards, Mindesteinkommen in der EU zum Ziel haben oder die den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung zur „Chefinnensache“ der deutschen Ratspräsidentschaft machen.

Zu bedauern ist auch, dass die Bundeskanzlerin die Chance verpasste, die Rolle der EU innerhalb dieser einen Welt neu zu definieren. Die de facto-Reduzierung ihres Weltbildes auf die Achse EU-USA-Russland wird den Herausforderungen, vor denen die EU steht nicht gerecht. Kein Wort der Kanzlerin, dass EU-Politik zur Verschärfung globaler Konflikte beiträgt. Kein Nachdenken darüber, dass die EU ihre eigenen Probleme (demographischer Wandel, Fachkräftemangel, Klimawandel, Energiesicherheit usw.) selbst lösen muss, anstatt diese zu exportieren und damit die globalen Probleme zuzuspitzen! Nichts, wie die EU zu einem gerechten und fairen Welthandel und vor allem zur Durchsetzung der „Millenium Development Goals“ im Kampf gegen weltweite Armut, Hunger und Krankheiten beitragen kann!

Mit Blick auf ihre Äußerungen zur Belebung des europäischen Verfassungsprozesses und die Benennung eines Zeitplans für seine Umsetzung wiederholen wir unsere Position, dass eine EU-Verfassung tatsächlich eine demokratische, solidarische, soziale und friedliche Union ermöglichen muss. Dies geht nicht einher mit der Festschreibung eines neoliberalen Wirtschaftssystems, der zunehmenden Militarisierung der EU, der Schaffung von „EU-Battle Groups“ und der Bildung eines gemeinsamen EU-Rüstungsmarktes!

Frau Merkel lehnt einen EU-weiten Volksentscheid prinzipiell ab. Schade: auch hierbei unterscheidet sie sich nicht von all jenen Europapolitikern, die zwar immer wieder Visionen verkünden wollen, aber dabei ganz einfach die Bevölkerungen vergessen.“