Noch viel zu tun – DIE VERFASSUNG DER EU

Rezension von Helmuth Markov im Neuen Deutschland vom 04.10.2006 zum Buch „EU in neoliberaler Verfassung“, herausgegeben von Angela Klein und Paul B. Kleiser

Mit diesem Buch wird der Vielzahl von Publikationen über den EU-Verfassungsvertrag nicht einfach eine weitere hinzugefügt, sondern diese um vielfältige Einzelbetrachtungen erweitert. Anschaulich wird, in welcher Verfasstheit sich die Europäische Union heute befindet. Da werden beispielsweise die Lissabon-Agenda und die Militarisierung der EU diskutiert, ebenso diverse EU-Gesetzesvorhaben. An Beispielen wie den Diskussionen über die Dienstleistungs- oder Chemiekalienrichtlinie wird das Spannungsfeld Europapolitik in seiner Breite dokumentiert. Der Bogen spannt sich von kritischen Betrachtungen ökologischer und ökonomischer Aspekte europäischer Integration über den Zusammenhang von EU-Politik und GATS-Verhandlungen, den Kämpfen der Gewerkschaften bis hin zu Fragen der Solidarität mit den neuen Mitgliedstaaten.
Die Analysen sind gründlich und faktenreich. Der Leser wird aufgefordert mitzudenken, eigene Schlüsse zu ziehen. Lösungswege für ein anderes Europa bekommt man nicht auf einem goldenen Tablett serviert. Deutlich wird, dass ein soziales, friedliches, ökologisch nachhaltiges, Zusammenhalt und Kooperation förderndes Europa niemals im Gegeneinander der Staaten im Binnenmarkt, ebenso wenig im Standortwettbewerb der EU auf dem Weltmarkt verwirklichbar ist.
Die Beiträge zeigen, dass echte europäische Integration nur dann Realität werden kann, wenn – bei grundsätzlichem Respekt gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen – die Angleichung der Lebensbedingungen nicht nach unten, sondern nach oben organisiert wird. Das politische Ziel hoher Sozialstandards hat aus dieser Sicht Vorrang vor der Ausrichtung an marktwirtschaftlichen Profitkriterien, da soziale Verwerfungen zu nationalen Egoismen und anti-europäischen Ressentiments führen.
Das Schöne an diesem Buch ist, dass es dem in vielen Teilen der Gesellschaft verbreiteten Pessimismus und Rückzug aus dem Politischen reale Möglichkeiten und Erfolge des Engagements gegenüberstellt, die insbesondere dort wirksam werden, wo es eine sehr enge Verflechtung von Betroffenen, sozialen Bewegungen, kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften, aber gerade auch parlamentarischen Vertretern und Parteien gibt. Auf diese Weise wurde zum Beispiel vom Europaparlament die neoliberale Hafendienstleistungsrichtlinie gekippt, eine Reihe von Liberalisierungsvorhaben beim öffentlichen Personennahverkehr gestoppt und in der Debatte um Softwarepatente der Durchmarsch der Kommission und die Übernahme der Märkte durch Monopolkonzerne verhindert.
Insofern ist es unverständlich, dass dann doch eine These auftaucht, die einmal mehr nur auf die außerparlamentarische Opposition orientiert. Es waren in Frankreich Parteien, die gegen den Verfassungsvertrag mit Informationskampagnen und Aktionen mobilisiert haben. Und alle in der linken Fraktion des Europaparlaments vertretenen Parteien haben sich gegen diesen Vertragsentwurf ausgesprochen. Es bedarf einer europäischen Lösung, die parlamentarische und außerparlamentarische Möglichkeiten nutzt!

Angela Klein/Paul B. Kleiser (Hg.): EU in neoliberaler Verfassung. Neuer ISP Verlag, Karlsruhe. 157 S. , br., 16 EUR.

Quelle:
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=97997&IDC=26