„Anti-soziale Geisterfahrer“, erschienen in Schwäbisches Tagblatt, 13. Januar 2006
„Kommst Du aus dem Land, wo diese seltsamen Fragenkataloge für Muslime erstellt werden?“, muss man sich zur Zeit als baden-württembergischer Abgeordneter in Brüssel fragen lassen. Gemeint ist der Gesprächsleitfaden für Einbürgerungen, der – auch wenn er sich fortschrittlich gibt, an Gesinnungsschnüffelei und Bürokratismus nichts zu wünschen übrig lässt. Der Papst oder der Bischof von Rottenburg hätten wohl vor den so instruierten Sachbearbeitern der Einwanderungsbehörden keine Gnade gefunden und draußen bleiben müssen. Offensichtlich wollte Innenminister Heribert Rech (CDU) kurz vor den Landtagswahlen noch einmal auf der Autobahn wenden (wir erinnern uns…), um etwas Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Arbeit am Image des Landes kann man als gelungen betrachten, so macht man sich bekannt in der Welt! Zum Glück gibt es noch andere Menschen in Baden-Württemberg!
Ganz anders handelt die Landesregierung jedoch, wenn es um Arbeitsplätze und Sozialstandards geht. Hier heißt das Stichwort: Bürokratieabbau oder besser „outsourcing“ von Bürokratie. Geht es nach dem Willen auch der baden-württembergischen Landesregierung aus CDU und FDP soll die so genannte Dienstleitungsrichtlinie am 14. Februar im EU-Parlament in Strasbourg beschlossen werden. Geht sie durch, wird in punkto Soziales kein Stein auf dem anderen bleiben. Mit dem „Herkunftslandprinzip“ werden dann für viele Branchen nur noch die Sozialstandards und Arbeitsschutzregeln des Landes gelten, in dem die Firma, die Dienstleistungen anbietet, offiziell gemeldet ist. Für die Kontrollen sind die Verwaltungen der „Herkunftsländer“ zuständig.
Mit der von dem ehemaligen EU-Kommissar Bolkestein ausgearbeiteten „Richtlinie zur Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes“ soll Sozialdumping nun legalisiert und auf viele Bereiche ausgedehnt werden. Offiziell sind mehr als 60% aller Arbeitsverhältnisse betroffen. Die Folge wäre, dass mehr und mehr Firmen ihren Sitz in Länder mit niedrigeren Lohn und Sicherheitsstandards verlegen, um so billiger Dienstleistungen anbieten zu können. Hier würde ein Unterbietungswettlauf in Gang gesetzt, der sozial- und tarifpolitisch erkämpfte Standards untergräbt. Vor den Referenden in Frankreich und den Niederlanden über den EU-Verfassungsvertrag im Mai und Juni 2005 hatten der französische Präsident Chirac und der damalige Kanzler Schröder zugesagt, die Richtlinie würde gestoppt, damit wollten sie ein Ja zum Verfassungsvertrag erreichen. Auch noch vor wenigen Monaten wurde der Eindruck erweckt, „Bolkestein“ sei vom Tisch, bzw. von ihrem Kern „sei wenig geblieben“.
Doch die Bolkestein-Richtlinie ist leider lebendiger denn je. Chiracs und Schröders Zusage war nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden sofort vergessen. Der Gesetzgebungsprozess schreitet unbeirrt fort, die Abstimmung im europäischen Parlament ist am 14. Februar. Jetzt sind auch die Gewerkschaftsspitzen aufgewacht und rufen zusammen mit attac und anderen sozialen Organisationen zu Demonstrationen gegen die Sozialabbau-Richtlinie auf.
Dieses neoliberale Machwerk, dass sämtliche sozialen Standards, Löhne und Gehälter gefährdet, darf nicht durchkommen. Die anti-sozialen Geisterfahrer können noch gestoppt werden, wenn möglichst viele außerparlamentarisch Druck machen! Kommen Sie alle am 11. und 14. Februar zu den Demonstrationen in Strasbourg und anderswo. Jetzt gilt es! Ich freue mich auf Ihren Besuch in Strasbourg! Informationen zu Buskarten auf meiner Webseite: www.tobias-pflueger.de
Tobias Pflüger