Wiederbelebung des EU-Verfassungsvertrages?, In „Friedensjournal“
Schaut man sich die Vorschläge der Regierenden zur Zukunft des EU-Verfassungsvertrages an, so ergibt sich nicht nur ein Bild von völliger Ratlosigkeit, sondern auch des unbedingten Willens, den Verfassungsvertrag doch noch durchzusetzen. Offiziell aber befindet sich die EU immer noch in einer so genannten Denkpause darüber, was mit dem Verfassungsvertrag geschehen soll. Vor kurzem ratifizierte nun das belgische Parlament die EU-Verfassung und der französische Innenminister Nicolas Sarkozy will Elemente der gescheiterten EU-Verfassung aus dem Vertrag herauslösen, damit diese in Form eines neuen Abkommens so schnell wie möglich umsetzbar werden.
Dazu zählte er die Reform des Wahlsystems, die Abschaffung des Rotationsprinzips zu Gunsten eines permanenten EU-Ratsvorsitzes sowie die Ernennung eines EU-Außenministers für die 25 Staaten umfassende Gemeinschaft. Ein Evaluierungsteam solle noch in diesem Jahr durch die EU- Hauptstädte reisen, um die Idee mit Regierungen, Parlamenten und Parteien zu diskutieren, regte Sarkozy an. Der Innenminister gilt als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die im nächsten Jahr stattfindende Präsidentenwahl in Frankreich. Deutschland hat sich bisher zurückhaltend zu einer Aufspaltung der EU-Verfassung geäußert.
Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel dagegen will die Zukunft der Europäischen Union nicht allein von der EU-Verfassung abhängig machen. Die Bundesregierung vertrete die Ansicht, „dass die Frage der künftigen Entwicklung der EU nicht nur davon abhängen kann, ob der Vertrag über eine Verfassung für Europa jemals in Kraft tritt oder nicht“, schreibt der amtierende EU-Ratsvorsitzende in einem kürzlich veröffentlichten Bericht an den Nationalrat in Wien.
Österreich habe „hohes Interesse“, das die EU-Verfassung in Kraft trete, da sie einen Fortschritt gegenüber dem geltenden EU-Vertrag von Nizza darstelle. Als derzeitiges Vorsitzland im EU-Rat werde es seine nationale Position aber nicht in den Vordergrund stellen, betonte Schüssel. Er bekräftigte seine Absicht, gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten bis zum EU-Gipfel im Juni eine „Roadmap“ über die weitere Vorgangsweise hinsichtlich der EU-Verfassung zu erarbeiten. Laut Aussendung der Parlamentskorrespondenz soll damit „neue Dynamik in die laufende Reflexionsphase gebracht“ werden.
Fast ein Jahr nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden über den EU-Verfassungsvertrag wird im Gegensatz zu all diesen verzweifelten Wiederbelebungsversuchen immer deutlicher, dass es ein ziviles und soziales Europa auf Grundlage dieses EU-Vertrages nicht geben kann, der dem Neoliberalismus Verfassungsrang einräumen würde. Die anti-sozialen Gesetzesinitiativen der EU-Kommission für die Hafen- und Dienstleistungsrichtlinien sind jetzt nur ein erster Vorgeschmack. Signifikant dafür ist der Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel , dass der EU-Verfassung eine rechtlich unverbindliche Erklärung zur „sozialen Dimension“ Europas angehängt werden solle, um dann in Frankreich und den Niederlanden erneut abstimmen zu lassen.
Erinnern wir uns: Mit der EU-Verfassung sollte die EU-Militarisierung entschieden vorangetrieben werden. Im Vergleich zum gültigen EU-Vertrag von Nizza wurden eine ganze Reihe von Militarisierungsprojekten, wie die EU-Rüstungsagentur und die Battle-Groups verfassungsvertraglich explizit fixiert. Die EU-NATO-Kooperation sollte sogar Verfassungsrang erhalten.
Ganz erheblich sollte der Rechtsrahmen für militärische Einsätze der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgeweitet werden. Mit diesem Verfassungsvertrag sollte die EU fit gemacht werden für die globale Kriegsführungsfähigkeit. So ging es vor allem darum einen Rechtsraum für weltweite Militärinterventionen zu eröffnen.
Als weltweit einmalig darf wohl die explizite Aufrüstungsverpflichtung im Verfassungsvertrag betrachtet werden. Aber auch hier wollte man nichts dem Zufall überlassen und so wurde für die Durchsetzung dieser Aufrüstungsverpflichtung auch gleich noch eine Institution vertraglich verankert – die EU-Rüstungsagentur – als Orwell’sche Sprachverdrehung „Europäische Verteidigungsagentur“ genannt. Auch durch die Debatten im Auswärtigen Ausschuss und im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments wird klar, dass eine Ratifizierung des Verfassungsvertrages vor allem deshalb angestrebt wird, weil sich die EU-Militarisierung auf vertraglicher Grundlage mit mehr Rechts- und Planungssicherheit durchsetzen lässt. Als Beispiel sei nur genannt, dass sich dann auch die Tendenz auf EU-Ebene zu immer mehr Geld für Rüstung und Militärinterventionen noch verstärken würde. Im Gegensatz zum Nizza-Vertrag würde der EU-Verfassungsvertrag sogar die Einrichtung eines eigenen EU-Militärhaushalts ermöglichen. Von Konservativen, grünen, liberalen und sozialdemokratischen Europapolitiker/innen wird dies bisher bedauert.
Noch nicht einmal eine Bindung des außen- und sicherheitspolitischen Handelns der Europäischen Union an die UN-Charta findet sich im EU-Verfassungsvertrag, sondern lediglich eine Verpflichtung auf die Grundsätze der UN-Charta. Dies lässt jedoch rechtlichen und politischen Interpretationsspielraum für die EU, um auch ohne UN-Mandat Krieg zu führen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der EU-Verfassungsvertrag als programmatische Blaupause zur Beschleunigung der EU-Militarisierung anzusehen ist. So wird von den EU-Verantwortlichen versucht, Teile des EU-Verfassungsvertrags an der geltenden Vertragslage vorbei in die Tat umzusetzen. So hat die österreichische Ratspräsidentschaft es sich zum Ziel erklärt die EU-Rüstungsagentur auszubauen und bis 2007 die Battle Groups voll einzurichten.
In diesem Zusammenhang ist die Sprache des am 19. Januar 2006 im EU-Parlament abgestimmten Berichts Duff/Voggenhuber geradezu verräterisch. So wird im Bericht die Auffassung zum EU-Verfassungsvertrag vertreten, „dass ein positives Ergebnis der Reflexionsphase darin bestünde, dass der derzeitige Text beibehalten werden kann, obgleich dies nur möglich wäre, wenn damit wichtige Maßnahmen verknüpft werden, um die Öffentlichkeit zu beruhigen“. Offensichtlich wird beabsichtigt, die Ergebnisse der Referenden in Frankreich und den Niederlanden einfach zu übergehen. Die EU-Militarisierung wird dabei nach Maßgabe des nicht ratifizierten EU-Verfassungsvertrags vorangetrieben.
Aus friedenspolitischer Sicht ist klar: Der EU-Verfassungsvertrag muss endlich ad acta gelegt werden, um eine Perspektive für ein soziales und ziviles Europa zu eröffnen. Die Militarisierung à la EU-Verfassungsvertrag muss gestoppt werden. Mein Vorschlag wäre, dabei vor allem die EU-Schlachtgruppen (Battle Groups) und die EU-Rüstungsagentur in den Blick zu nehmen. Es ist höchste Zeit, dass wir mit einer Kampagne gegen ihre Strukturen beginnen und die Öffentlichkeit über diesen Irrweg der EU aufklären.