Mobilität mit Hindernissen
EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit wird unterschiedlich gehandhabt.
Am Montag wurde von der Europäischen Kommission das »Jahr der Mobilität« eröffnet. Mit Hilfe dieser Initiative sollen die Mobilität der Arbeitskräfte erhöht, der Erwerb neuer Fähigkeiten gefördert und so ein Beitrag zur Verringerung der Arbeitslosenzahlen geleistet werden. Zeitgleich steht in den meisten alten EU-Staaten die Überprüfung der Übergangsregelungen hinsichtlich des Arbeitsmarktzugangs für Bürger der neuen Mitgliedstaaten an. Diese Ausnahmebestimmungen enthalten Quoten und Arbeitserlaubnispflicht. Bis 30. April 2006 müssen die Mitgliedstaaten der Kommission mitteilen, wie sie mit der Öffnung ihrer Arbeitsmärkte verfahren wollen.
Großbritannien, Irland und Schweden haben ihre Arbeitsmärkte bereits geöffnet. In Finnland benötigen Bürger der neuen Mitgliedstaaten ab 1. Mai 2006 keine Arbeitsgenehmigung mehr. Auch Spanien, Portugal, Griechenland und Belgien erwägen die Abschaffung der Beschränkungen.
Neben Österreich kündigte auch Deutschland an, seine derzeitige Politik nicht zu ändern, sondern die Möglichkeit zur Verlängerung der Übergangsfrist um mindestens drei Jahre zu nutzen. Zur Begründung heißt es unter anderem, Deutschland stehe als unmittelbares Grenzland mit noch dazu hoher Arbeitslosigkeit unter besonderem Druck. Das trifft zu, ganz besonders für die strukturschwachen Grenzregionen. Doch die Situation ist keineswegs neu, sondern lange vor der EU-Erweiterung bekannt gewesen. Statt diese Regionen rechtzeitig mit Hilfe nationaler und EU-Strukturmaßnahmen für die Erweiterung fit zu machen, wurden die Probleme durch die Übergangsregeln einfach aufgeschoben. Gleichzeitig hat sich gerade die deutsche Regierung für die Begrenzung des EU-Haushalts – und damit für Kürzungen bei den für die Krisenregionen überlebenswichtigen Struktur- und Sozialfonds – stark gemacht. Ebenso für die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes ohne die verbindliche Regelung von Mindeststandards bei Löhnen und Sozialleistungen. Genau dies fällt den Grenzregionen nun auf die Füße. Eigentlich nur ihnen, denn insgesamt stellt die Öffnung des Arbeitsmarktes laut einer Reihe von Studien kaum eine Bedrohung dar. Nur etwa 1,5 Prozent aller EU-Bürger leben und arbeiten in einem anderen Mitgliedstaat. Diese Zahl hat sich in den letzten 30 Jahren kaum verändert. Weitere 0,2 Prozent pendeln regelmäßig zwischen Heimat- und Arbeitsland. Dieser kleine, jedoch steigende Anteil betrifft aber genau die Grenzregionen. Lokale Behörden in Deutschland können zwar schon seit der Vor-Beitrittsperiode Arbeitserlaubnisse für Grenzpendler aus der Tschechischen Republik und aus Polen ausstellen, dies aber eben abhängig von einer entsprechenden Nachfrage auf den lokalen Arbeitsmärkten.
Da die Arbeitnehmerfreizügigkeit eine der vier Grundfreiheiten und damit ein fundamentales Prinzip der EU ist, stellen die Beschränkungen für die Bürger der neuen Mitgliedstaaten eine unzulässige Diskriminierung dar, behandeln sie als Bürger zweiter Klasse. Dennoch müssen selbstverständlich auch die Befürchtungen der Menschen in den Grenzregionen der alten Mitgliedstaaten ernst genommen werden. Wenn nun schon die Arbeitsbeschränkungen weitere drei Jahre aufrechterhalten werden, müssen Bundesregierung und EU ab sofort eine wirksamere Förderpolitik in den strukturschwachen Regionen einleiten, damit eine nochmalige, dann letztmals mögliche Verlängerung nach 2009 nicht mehr nötig ist.
Quelle:
Neues Deutschland