Gabi Zimmer: „Artikulation von Arroganz der Macht“
Einen Tag vor dem Brüsseler EU-Gipfel hat Belgiens Premierminister Guy Verhofstadt zum ersten Mal eingeräumt, dass die künftige Verfassung der Europäischen Union in der vorliegenden Form nicht verabschiedet werden kann.
Einen Tag vor dem Brüsseler EU-Gipfel hat Belgiens Premierminister Guy Verhofstadt zum ersten Mal eingeräumt, dass die künftige Verfassung der Europäischen Union in der vorliegenden Form nicht verabschiedet werden kann. Das gesamte Vertragswerk ist nach Einschätzung des Premierministers nicht mehr zu retten. Es komme jetzt darauf an, die Einstimmigkeitsregelung aufzugeben, sagte Verhofstadt weiter.
Das Europäische Parlament hat in Straßburg am Mittwoch in einer Entschließung seine Unterstützung für den Verfassungsvertrag signalisiert und vor einer Aufschnürung des Kompromisses gewarnt. Die Abgeordneten fordern, dass auf dem bevorstehenden Europäischen Rat ein Zeitplan festgelegt wird, um zu erreichen, dass spätestens bis zu den Europawahlen 2009 eine konstitutionelle Lösung vorliegt. Auch sollen die Debatten auf europäischer und nationaler Ebene fortgesetzt werden, hieß es.
Der Verfasser des Entschließungsantrages, der deutsche Sozialdemokrat Jo Leinen erklärte in der Debatte, dass „die Europäische Verfassung „nicht tot“ sei. „Sie ist sehr lebendig, und es besteht der gemeinsame Wille, dieses wichtige europäische Projekt auch erfolgreich zu Ende zu führen“, erklärte Leinen.
Die Abgeordneten fordern den Europäischen Rat auf, von der Reflexions- auf eine Analysephase überzugehen, die sich bis Mitte 2007 erstrecken soll, um bis spätestens zur zweiten Jahreshälfte 2007 einen klaren Vorschlag herbeizuführen, wie weiter mit dem Verfassungsvertrag zu verfahren sei. Spätestens zu den Europawahlen im Jahr 2009 sollte dann eine konstitutionelle Lösung vorliegen.
Der Europäische Rat sollte einen geeigneten Rahmen entwickeln, damit ein spezifischer Dialog mit Frankreich und den Niederlanden stattfinden kann in dem sondiert werden soll, ob und unter welchen Bedingungen es möglich wäre, das Ratifizierungsverfahren wieder aufzunehmen. Die Kommission wurde aufgefordert, sich diesem Ansatz anzuschließen und dem Europäischen Rat einen „Fahrplan“ für seine bestmögliche Umsetzung vorzulegen.
Außerdem wurde der Europäische Rat aufgefordert, von jedem Mitgliedstaat klare Zusagen zu erreichen, was die von ihm vorgeschlagenen Mittel und Wege für sein weiteres Vorgehen während der verbleibenden Zeit der Reflexionsphase und seine Absichten zur Intensivierung der öffentlichen Debatte über die Zukunft Europas betrifft.
Der EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hatte in der Debatte die Staats- und Regierungschefs vor dem am Donnerstag in Brüssel beginnenden EU-Ratsgipfel aufgefordert, den „Teufelskreis der europäischen Skepsis zu verlassen“. Er sehe die Chance, den Verfassungsprozess im nächsten Jahr „wieder anzukurbeln“ und von „der Phase der Reflexion zur Etappe des Engagements überzugehen“, sagte Barroso am Mittwoch vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Er wolle sich das Recht nehmen, „die Partner abzufragen, ob sie das gemeinsame Projekt noch wollen“.
Es gebe jene, die Europa nie wollten, sagte Barroso vor den Abgeordneten. „Nun will jeder zeigen, dass er besser ist als der andere, und dass er die Ursache des Pessimismus in Europa kennt.“ Der Kommissionspräsident wolle sich aber keinesfalls auf eine institutionelle Debatte festlegen und warb für ein „Europa der Ergebnisse“. Das gemeinsame Projekt könne nur vorangetrieben werden „mit Hoffnung und guten Botschaften“.
Hans Winkler äußerte im Namen der österreichischen Ratspräsidentschaft, dass die Mitgliedsstaaten die Reflexionsphase „um ein Jahr verlängern wollen“. Die gemeinsame Aufgabe der künftigen Ratspräsidentschaften, so der Deutschen zu Beginn des Jahres 2007, sei es, eine Entscheidung über die Rechtsgrundlage der EU bis zum Jahr 2009 vorzubereiten, meinte Winkler.
„Aus den bisherigen Planungen und Überlegungen zum bevorstehenden Gipfel ist erkennbar, dass dieser der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln soll, dass man das ‚Nein‘ zur Europäischen Verfassung als Kritik am Politikstil begriffen habe, aber nicht an der offiziellen Politik und ihren Prioritäten“, äußerte die Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS Gabriele Zimmer am Mittwoch in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament. Es habe im vergangenen Jahr keine verantwortungsvolle Reflexion gegeben, sondern „eine Artikulation von Arroganz der Macht und Unbelehrbarkeit“. Die Bürgerinnen und Bürger hätten schon längst begonnen, ihre eigenen Vorstellungen von einer anderen EU zu entwickeln und diese auch einzufordern.
Von Uneinsichtigkeit zeugt nach Ansicht von Gabriele Zimmer beispielsweise der kürzlich vorgelegte Vorschlag aus der österreichischen Ratspräsidentschaft, den alten Verfassungstext unverändert zur direkten Abstimmung in den EU-Mitgliedsstaaten vorzulegen. „Ohne eine Aufnahme der Proteste, Kritiken und Vorstellungen, die auf eine demokratische, soziale, friedliche und ökologische EU zielen, wird das europäische Integrationsprojekt keine wachsende Akzeptanz finden“, warnte die Politikerin. Sie regt an, die Arbeit an den verschiedenen europäischen Richtlinien bis zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge ruhen zu lassen. Stattdessen sollte es „demokratische Aussprachen geben und die Offenlegung dessen, was seit Juni 2005 in der Europäischen Union wirklich geschehen ist“.
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS, Sylvia-Yvonne Kaufmann, kritisierte ihrerseits die Forderung Barrosos, nach wirkungsvoller Ausschöpfung „geltenden Verträge“. Gemeint sei der Murksvertrag von Nizza, sagte sie. „Das verwundert nicht, denn im Unterschied zur Verfassung, die die Sozialstaatlichkeit auf europäischer Ebene stärkt, bietet Nizza den Neoliberalen eine gute Handhabe, um auch die sensiblen Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge dem freien Wettbewerb zu unterwerfen.“ (ppa)
Quelle:
linkszeitung.de