Zimmer: EU trägt Verantwortung für Missstände
Von Armut, Krieg und Unterdrückung will die EU-Kommission nichts wissen
Brüssel (ppa). Das Europäische Parlament hat am Dienstag in Straßburg eine kontroverse Debatte über das Arbeits- und Legislativprogramm der EU-Kommission 2007 geführt. Die Chefin der Delegation der Linkspartei.PDS im Europaparlament, Gabriele Zimmer, kritisierte im Namen der europäischen Linksfraktion GUE/NGL, dass weder die Arbeitsschwerpunkte, noch die aufgezeigten Arbeitsrichtungen „wirklich auf der Höhe der Zeit“ seien. Dabei gehe es um Probleme, in denen die EU sehr wohl Verantwortung trage, etwa um „Armut, soziale Ausgrenzung, wachsende soziale Ungleichheiten und Spaltungen, oder auch die Kommerzialisierung des gesellschaftlichen Lebens, Natur- und Kulturzerstörung, die Fragen der Entdemokratisierung, Repression, Kriegsfragen, Militarisierung oder insgesamt den Umgang mit globalen Problemen, Engagement für die Realisierung der Millennium-Entwicklungsziele“.
Diese Probleme und Konflikte stünden nicht im Mittelpunkt des Arbeitsprogramms, kritisierte Zimmer. Im Mittelpunkt der Arbeit der Kommission stehe nach wie vor die Umsetzung der Lissabon-Strategie und damit das Ziel der Konkurrenzfähigkeit. Das führe „zu einer Zuspitzung von globalen, sozialen und ökologischen Problemen“, sagte die PDS-Politikerin. Auch die Frage der Sozialmodelle spiele „überhaupt keine Rolle“. Letztendlich werde das in der Arbeit der Kommission verkürzt auf die Frage der Flexibilisierung.
Mit Blick auf einen europäischen Binnenmarkt für Rüstungsgüter sagte sie, keines der Defizite der EU würde dadurch gelöst. „Und wer hat eigentlich die Kommission dazu legitimiert, einen solchen Binnenmarkt aufzubauen? Der Verfassungsentwurf ist doch auch gerade wegen eines solchen Punktes gescheitert und abgelehnt worden“, sagte die Rednerin. Dies sei „verantwortungslos“. Es müsse eine andere Politik entwickelt werden, so dass sich die Menschen wieder viel stärker mit der Europäischen Union identifizieren können. Die Menschen bräuchten „konkrete Projekte und Initiativen“: die demokratische, soziale und ökologische nachhaltige Union sowie die Friedensmacht EU, die globale Probleme solidarisch und demokratisch zu lösen versucht.
SWR
ARD-Korrespondent Martin Durm
EU will Wirtschaft Milliarden-Aufwand ersparen
Die EU-Kommission will der Wirtschaft mit einem Abbau von Bürokratie bis zu 150 Milliarden Euro ersparen. Kommissionspräsident Barroso und Industriekommissar Verheugen stellten nun einen neuen Anlauf zu diesem Kernprojekt der Kommission vor.
Eine Zeitlang wirkte es so, als wolle sich Günter Verheugen im Europäischen Parlament hinter dem Rücken von EU-Kommissionspräsident Barroso verstecken. Geduckt saß er in der zweiten Reihe des Parlaments, während vor ihm Barroso versprach, die ausufernde Bürokratie in Europa bekämpfen zu wollen: „Wir haben auf die Forderung des Parlaments reagiert, eine Reihe von Vereinfachungen bei EU-Gesetzen, Regeln und Richtlinien durchzuführen. Die Vereinfachung von EU-Gesetzen wird zu unserem Programm gehören und zu den täglichen Aufgaben der EU-Kommission.“
Dabei ist der Kampf gegen die EU-Bürokratie nicht nur ein Anliegen des Parlaments sondern auch das eigentliche politische Projekt des deutschen EU-Kommissars Günter Verheugen. Nur hat er dies in den vergangenen Wochen nicht wirklich vorantreiben können, weil sein Name in anderen Zusammenhängen Schlagzeilen machte.
Da war zunächst Verheugens Kritik an der Brüsseler Beamtenelite, der er vorwarf, selbstherrliche und weltfremd die EU zu verwalten. Als Retourkutsche sah sich sich mit dem Gerücht konfrontiert, im Fall einer Mitarbeiterin dienstliche und privater Neigungen zu vermengen. Nun ging der umstrittene Kommissar wieder zum Geschäftsmäßigen über, wollte aber auch etwas klarstellen, das ihm in den letzten Wochen viel zu schaffen machte: „Ich habe nie gesagt, daß unsere hohe Beamtenschaft arrogant ist, was ich meinte war, dass einiges in den EU-Velautbarungen noch immer im arroganten und technokratischen Stil der Vergangeneheit formuliert ist. Und dass es da noch einiges zu tun gibt.“ Er habe nie die Kompetenz der führenden EU-Beamten in Frage gestellt und erst recht nicht ihre Loyalität.
Bürokratieabbau statt Beamtenschelte
Statt Beamtenschelte nun also Bürokratieabbau: 90.000 Seiten europäische Gesetzestexte sollen ausgedünnt, 220 Richtlinie zusammengefasst, vereinfacht oder einfach gestrichen werden. Hinter dem Begriff Bürokratieabbau steht der politische Wille Verheugens, Breschen in den europäischen Paragraphendschungel zu schlagen. Die wuchernde Bürokratie ist nach Ansicht des für die Industrie zuständigen Kommissars ein Grund für die Probleme vieler europäischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Denn die Kosten, die der Wirtschaft durch unnötige bürokratische Regelungen entstünden, gingen jährlich in die Milliarden, heisst es in Brüssel.
Verheugen erklärte in Straßburg, durch den Abbau von Bürokratie wolle man bis 2012 über 150 Milliarden Euro einsparen. Geld, das Unternehmen dann in Forschung und Entwicklung investieren könnten. Auch damit lässt sich Schlagzeilen machen. Im Europäischen Parlament hat der umstrittene Kommissar wieder die politische Initiative ergriffen.
Quelle:
Linkszeitung