Fauler Kompromiss für Sozialabbau
Jubilierend stellte Evelyne Gebhardt am Mittwoch in Brüssel den von ihr mit den Konservativen im Europäischen Parlament ausgehandelten Kompromiss zur umstrittenen Dienstleistungsrichtlinie vor, den sie in „langen und konsequenten Verhandlungen“ durchgesetzt habe. Der von ihr als „Durchbruch“ gefeierte Text ist jedoch alles andere als ein Ruhmesblatt für die Sozialdemokraten. Im Gegenteil, in ihm manifestiert sich ihr weitgehendes Einknicken auf die Linie der Konservativen.
Die Große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten ist auch in Brüssel mittlerweile Realität. Von der Intention bis hin zum Titel „Freizügigkeit für Dienstleistungen“ entspricht der „Kompromiss“ in vieler Hinsicht dem, was die Konservativen als Antrag in den Binnenmarktausschuss eingebracht hatten und dort – gegen die weiter gehenden Vorschläge der Sozialdemokraten – durchgesetzt haben. Zwar wird jetzt nicht mehr pauschal festgelegt, dass grenzüberschreitende Unternehmen nur noch den Gesetzen des Landes unterliegen, in dem sie niedergelassen sind. Aber den Mitgliedstaaten werden gravierende Einschränkungen bei der Anwendung der eigenen Gesetze auferlegt. Gesetze zur Bekämpfung von Scheinselbständigkeit dürften damit ebenso hinfällig werden wie bestimmte Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen. Was den Text vom Kommissionstext hauptsächlich unterscheidet, ist die Schwammigkeit und Ausdeutbarkeit der Formulierungen. Die Konzernlobby sollte damit bestens leben können, da in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof zur Klärung angerufen werden kann und dieser, wie vergangene Entscheidungen zeigen, im Zweifel selten zu ihren Lasten urteilt.
Mit diesem faulen Kompromiss haben die Sozialdemokraten pünktlich zur Abstimmung im Europaparlament ihre Reihen wieder geschlossen. Der vorgegaukelte Spagat zwischen dem Parteivorsitzenden Matthias Platzeck, der zur Demonstration gegen die Richtlinie aufruft, und dem Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, der die Einigung mit den Konservativen vorantreibt, hat ein Ende. Geeint geriert sich die Sozialdemokratie nun als Gewinnerin in der Auseinandersetzung mit den Konservativen und präsentiert sich en passant als angeblich wahre Verteidigerin des Europäischen Sozialmodells. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Mit ihrem Umfallen in der zentralen Frage der Dienstleistungsrichtlinie zeigen die Sozialdemokraten, dass sie bereit sind, für den Konsens mit den Konservativen so gut wie jede Kröte zu schlucken.
Der Zeitpunkt der sozialdemokratischen „Erfolgsmeldung“ legt nahe, dass so auch der Druck aus den bevorstehenden Demonstrationen genommen werden soll. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Beschäftigten, die Handwerker, die Klein- und Mittelunternehmen sowie alle Anderen, die von der Richtlinie in ihrer Existenz bedroht sind, nicht von den präsentierten Lügen und Fehlinformationen blenden lassen und trotzdem zahlreich an den Protesten teilnehmen werden, die am 11. Februar in Berlin und Strasbourg stattfinden. Die Richtlinie ist nicht substanziell verändert oder eingeschränkt worden. Sie ist auch mit den angeblichen Kompromissen das, was sie immer war – ein Freibrief für Sozialabbau, Lohndumping und ungehemmte Profite der Großkonzerne. Mächtige Demonstrationen gegen die Dienstleistungsrichtlinie sind deshalb jetzt dringender nötig denn je!
Quelle:
Neues Deutschland