Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Integrationsgipfels
Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel
anlässlich des Integrationsgipfels der Bundesregierung am 14.Juli 2006 in Berlin
Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,
es bedarf scheinbar tragischer Ereignisse bevor sich die Bundesregierung entschließt, zu handeln. Ehrenmorde, Übergriffe auf Ausländer oder Gewalt an Schulen gibt es nicht erst seit 2006, aber durch die jüngsten Ereignisse wie dem Ehrenmord an Hatun Sürücü oder dem Hilferuf der Berliner Rütli-Schule wurde offensichtlich nun auch auf höchster politischer Ebene Handlungsbedarf erkannt.
Wir begrüßen Ihre Idee des Integrationsgipfels. Ebenso unterstützen wir den Aufruf des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, Integrationspolitik endlich wieder ernst zu nehmen.
Allerdings sind wir der Auffassung, dass es nicht ausreicht, die Symptome nun hektisch und oberflächlich bekämpfen zu wollen, ohne die Ursachen des Problems zu diskutieren. Integration verlangt weitaus mehr, als Ehrenmorde zu verbieten, Übergriffe auf Ausländer härter zu bestrafen oder mithilfe polizeilicher Gewalt die Ordnung an Schulen wiederherzustellen. Voraussetzung für erfolgreiche Synergien zwischen Aufnahmegesellschaft und Einwanderern ist die Akzeptanz kultureller Verschiedenheiten auf BEIDEN Seiten. Das Motto der Europäischen Union „Einheit in Vielfalt“ sollte sich die Bundesrepublik einmal mehr zu Herzen nehmen, wenn es um die Integration von Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen geht.
Der wichtigste Schritt zu einer erfolgreichen Integration ist das Beherrschen der Landessprache. Nicht nur für die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, sondern vor allem auch, um den schulischen Anforderungen gewachsen zu sein. Sprachdefizite bei Migrantenkindern sind häufig der Grund für unzureichende schulische Leistungen und in deren Folge mangelnde berufliche Qualifikationen, wodurch Integration und Partizipation stark beeinträchtigt werden. Daher ist Sprachförderung für Kinder sicher eine der wichtigsten Maßnahmen. Aber auch die sozialen und rechtlichen Aspekte müssen gründlich debattiert werden.
Wir kritisieren die Vorbereitung des Integrationsgipfels und Auswahl der Teilnehmenden nach undurchsichtigen Kriterien. Dies legt nun die Befürchtung nahe, dass es sich um eine einmalige Alibi-Veranstaltung handelt, bei der bereits fertige Konzepte lediglich abgestimmt werden. Vertreterinnen und Vertreter sämtlicher beteiligter Gesellschaftsgruppen werden lediglich angehört, haben aber augenscheinlich keinen Einfluss auf die Entscheidungen. Um eine glaubwürdige und demokratische Veranstaltung ins Leben zu rufen wäre eine Ausschreibung für Migrantenorganisationen denkbar gewesen, bei der Konzepte für eine emanzipatorische Integrationspolitik eingereicht hätten werden können.
Die Berichterstattung durch die Medien hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Auswahlkriterien für eine Teilnahme am Integrationsgipfel unklar waren, worauf hin sich etliche Migrantenorganisationen bereits im Vorfeld von der Veranstaltung distanzierten.
Es wäre außerordentlich bedauerlich, wenn sich Ihre grundsätzlich gute Idee des Integrationsgipfels doch als reine Showveranstaltung bewahrheitet, wodurch wir die Ernsthaftigkeit Ihrer formulierten Absichten deutlich in Frage gestellt sehen würden.
Wir sehen in dem Integrationsgipfel eine Auftaktveranstaltung, um einen regelmäßigen Dialog zwischen Regierung und Vertretern der Zivilgesellschaft zu etablieren. Wir hoffen sehr, dass wir den Worten der Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, Glauben schenken dürfen und sich als Resultat des Gipfels Arbeitsgruppen zu den Themen Bildung, Arbeitsmarkt, zivilgesellschaftliches Engagement und Integration in den Kommunen bilden, welche sich intensiv mit Konzepten zur erfolgreichen Integration befassen und gezielte Maßnahmen entwickeln. In diesem Punkt würden wir uns allerdings eine wirklich repräsentative Besetzung dieser Arbeitsgruppen wünschen, damit die Interessen aller Betroffenen auf gleiche Weise berücksichtigt und vertreten werden.
Es ist Aufgabe der Regierung, werte Frau Bundeskanzlerin, umzusetzen, was im Grundgesetz verankert ist: Gleiches Recht für alle in Deutschland lebenden Menschen unabhängig von Herkunft, Aussehen und Kultur! Das heißt auch, gleiche Bildungs-, und gleiche Lebenschancen für Migrantinnen und Migranten.
Mit dem Integrationsgipfel sind Sie auf dem richtigen Weg, wenn Sie ihn als Chance für einen Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik nutzen und dafür sorgen, dass man sich um die Fragen der Zuwanderpolitik auch mittel- und langfristig endlich ernsthaft kümmert. Machen Sie was daraus!
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg,
mit freundlichen Grüßen,
Feleknas Uca, MdEP
Gabi Zimmer, MdEP
André Brie, MdEP
Helmuth Markov, MdEP