Über die EU-Mitgliedschaft der Türkei wird in 10 oder 15 Jahren entschieden
Zur teilweisen Aussetzung der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei erklärt Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments:
Zur teilweisen Aussetzung der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei erklärt Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments:
Als Reaktion auf die inakzeptable Weigerung der Türkei, die Zollunion mit Zypern zu realisieren, verständigten sich die EU-Außenminister auf ein Kompromisspaket: Acht von insgesamt 35 Beitrittskapitel werden ausgesetzt. Sie betreffen den Binnenmarkt, über den zur Zeit ohnehin nicht verhandelt wird. Außerdem werden die Fortschritte der Türkei auf ihrem Weg in die EU von 2007 bis 2009 im Jahresrhythmus durch den EU-Ministerrat überprüft. Nikosia anerkannte die Notwendigkeit einer UN-Lösung des Zypernkonflikts und gab seinen Widerstand gegen den Handel mit dem türkisch besetzten Norden und die Zahlung von EU-Finanzhilfen auf. Die Türkei wurde nicht mit Ultimaten belegt, wie das in einigen EU-Staaten zuvor gefordert worden war.
Nicht hinnehmbar ist hingegen, dass – wie im Vorfeld auch dieses Treffens der EU-Außenminister geschehen – immer wieder eilfertig Plädoyers verbreitet werden, die eine türkische EU-Vollmitgliedschaft prinzipiell in Frage stellen. Bereits vor einem Jahr warteten CDU und CSU im Bundestagswahlkampf damit auf, der Türkei nur eine „privilegierte Partnerschaft“ anzubieten, während Österreichs konservative Regierung, die damals den EU-Ratsvorsitz inne hatte, sogar versuchte, eine solche „Partnerschaft“ als Alternative zur Vollmitgliedschaft ins Protokoll für die einstimmig vereinbarten Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Jetzt war es das Zypern-Problem, das instrumentalisiert wurde. Es kann und darf nicht länger sein, dass in Deutschland, Österreich und anderen EU-Staaten fortwährend versucht wird, die „Zuneigung“ des Wahlvolks auf dem Rücken der Türkei zu gewinnen. Das schadet dem Ansehen der EU, insbesondere den Werten, die sie nach außen vertritt. Außerdem werden die Menschen in der Türkei enttäuscht, die mit Recht erwarten dürfen, dass der Dialog mit ihrem Land ernsthaft, fair und in Würde geführt wird.
So zu tun, „als stünden die Türken bereits vor den Toren der EU“, ist arglistige Täuschung. Tatsache ist, dass ein Beitritt frühestens in 10 bis 15 Jahren ansteht. Gemäß EU-Beschlusslage werden die Verhandlungen ergebnisoffen geführt, und dabei wird es bleiben. Das heißt, für einen EU-Beitritt der Türkei gibt es keinen Automatismus. Derzeit ist weder die Türkei beitrittsfähig, noch ist die EU politisch, institutionell und wirtschaftlich in der Lage, sie aufzunehmen. In der Türkei müssen die Menschenrechte umfassend garantiert, die Rechte der Kurdinnen und Kurden geachtet und viele andere Reformen durchgeführt werden, während die EU ihre Verfassungskrise überwinden muss. Unabdingbar ist darüber hinaus, dass hierzulande und EU-weit ein Klima geschaffen werden muss, damit die Bürgerinnen und Bürger einem Beitritt der Türkei positiv gegenüberstehen.
Straßburg, den 12. Dezember 2006