Anhaltende Diskussion um die Verschiebung einer Delegationsreise der Linkspartei durch die Führung der KP Kubas und Kuba-Abstimmung im Europäischen Parlament
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Zu der anhaltenden Diskussion um die Verschiebung einer Delegationsreise der Linkspartei durch die Führung der KP Kubas und zur Kuba-Abstimmung im Europäischen Parlament erklärt der Europaabgeordnete André Brie:
Da ich zeitlich nicht in der Lage bin, auf jeden einzelnen Brief und jede Mail individuell zu antworten, bitte ich um Verständnis für diese Form. Ich weise zugleich auf die gemeinsame Erklärung von fünf Linkspartei-Abgeordneten im Europäischen Parlament hin.
1. Ich bin nicht bereit, mich mit Vorwürfen des Verrats, „reaktionär“, den Vergleichen mit den Kriegskrediten 1914, dem Ermächtigungsgesetz 1933 oder Vorschlägen, wir und ich sollten Pinochet zu seinem Geburtstag gratulieren, auseinanderzusetzen. Wenn die tragische Geschichte der SED- und KPdSU-Verfahren jetzt als billige Farce wiederholt werden soll, muss auf mich als Teilnehmer verzichtet werden.
2. Solidarität mit Kuba, insbesondere gegen die völkerrechtswidrige Politik der USA, ist für uns und mich eine auch im Europaparlament vielfach praktizierte Selbstverständlichkeit. Ebenso steht trotz vieler anderer Aufgaben die beständige Auseinandersetzung mit den Menschenrechtsverletzungen der USA auf jedem Gebiet im Zentrum unserer Arbeit. Das ist umfangreich dokumentiert und wird von uns nicht nur am grünen Schreibtisch gemacht.
3. Ich weiß, verstehe und achte sehr wohl, dass Kuba für viele Linke im besten Sinne eine Herzensangelegenheit und die Solidarität mit Kuba ein Teil ihrer politischen Biografie ist.
Solidarität mit Kuba, auch die Tatsache, dass Kuba soziale Menschenrechte oft vorbildlich realisiert, und Auseinandersetzung mit der US-Politik bedeuten aber nicht, die Verletzung politischer Menschenrechte in Kuba mit Stillschweigen zu übergehen. Ich erinnere daran, dass ich dafür auch 1999 schon heftig attackiert worden bin. Unabhängig davon, ob man meine Überzeugungen richtig oder falsch findet, kann daher niemand von der Kontinuität meiner politischen Position überrascht sein.
– Zum ersten war es einer der wesentlichsten Bestandteile des Gründungskonsenses der PDS und ist es Prinzip unserer Parteiprogramme seit 1990 geworden, von der Universalität der Menschenrechte auszugehen. Das bedeutete und bedeutet die Einheit sozialer und kollektiver, politischer und individueller Menschenrechte ebenso wie die Konsequenz, Menschenrechte nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch beim politischen Freund einzufordern. In der Präambel des derzeitigen Parteiprogramms heißt es unmissverständlich: „Uns eint der unumkehrbare Bruch mit der Missachtung von Demokratie und politischen Freiheitsrechten, wie sie in und von nicht wenigen linken Parteien, darunter der SED, praktiziert worden ist.“ An anderer Stelle wird festgestellt: „Gleichheit ohne Freiheit ist Unterdrückung.“ Diese Schlussfolgerung ist unaufgebbar, wenn die Fehler der Vergangenheit nicht kopiert und die Chance einer Wiedergewinnung der sozialistischen Idee für eine starke und nachhaltige linke Bewegung zerstört werden sollen.
– Zum anderen bin ich darüber hinaus gehend überzeugt, dass gerade die Linke und Sozialismus der universellen Geltung der Menschenrechte bedürfen. Deren Missachtung ist meiner Meinung nach einer der Gründe für das Scheitern der UdSSR und der DDR. Auch in dieser Hinsicht sehe ich keinen Grund, hinter die ebenfalls im Parteiprogramm der PDS zitierte Überzeugung Rosa Luxemburgs zurück zu gehen, dass „es sich bei den demokratischen Formen des politischen Lebens in jedem Lande … tatsächlich um höchst wertvolle, ja unentbehrliche Grundlagen sozialistischer Politik handelt“. Wer Freiheit und Demokratie angesichts der US-Bedrohungen Kubas als sekundär und als Gefahr für die Sicherheit des Sozialismus ansieht, denkt meiner Meinung nach zu kurz. Sozialismus kann mit einer wie auch immer gearteten Missachtung oder Geringschätzung von individuellen Freiheitsrechten nicht überleben.
– Schließlich: Unsere und meine Glaubwürdigkeit und politische Wirksamkeit, wenn wir uns scharf mit Menschenrechtsverletzungen durch die USA, Russland, die EU etc. auseinandersetzen, hängt von unserer Konsequenz ab. Uns unterscheidet von anderen Parteien, dass wir diese Fragen nicht nur dort ansprechen, wo es für uns politisch opportun ist. Genau das werfen wir anderen oft genug zu Recht vor. Deswegen werden und können wir es selbst (mit entgegen gesetzten politischen Vorzeichen) nicht praktizierten.
Individuelle politische Freiheitsrechte mögen anderen angesichts der „Sache“, der Revolution usw. als untergeordnete Fragen erscheinen. Für mich sind sie Kern unseres Lernprozesses, des erwähnten Bruches mit der SED-Politik und Teil der sozialistischen Erneuerung. Und politische Freiheit gilt auch und gerade für den Kritiker und Gegner, oder sie gilt nicht. Kleiner ist der Preis der Freiheit nicht, ist vor allem ihr Wesen nicht.