Zimmer: Die „neue Lissabon-Strategie“ dient den Interessen der Unternehmer
Als ein „Dokument trister Rat- und Einfallslosigkeit“ hat am Dienstag die Europaabgeordnete Gabriele Zimmer den Bericht über ein „Europäisches Sozialmodell für die Zukunft“ bezeichnet.
Marktradikale „Modernisierung“ oder Fortschritt zum sozialen Europa?
Zimmer: Die „neue Lissabon-Strategie“ dient den Interessen der Unternehmer
Als ein „Dokument trister Rat- und Einfallslosigkeit“ hat am Dienstag die Europaabgeordnete Gabriele Zimmer den Bericht über ein „Europäisches Sozialmodell für die Zukunft“ bezeichnet. Die Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament habe zwar mit freundlichen Worten für die „Anpassung an die Globalisierung“ geworben, doch sozialer Fortschritt sei für sie kein Thema.
Dem Bericht zufolge gründet das Europäische Sozialmodell sich auf der Einheit von Werten (Solidarität, Gleichstellung, Nichtdiskriminierung usw.) und einer Vielfalt sozialstaatlicher Systeme in den Mitgliedstaaten, erinnerte Frau Zimmer. Die Mehrheit des Europäischen Parlaments verweigere jedoch jede weiterführende Diskussion über sozialen Fortschritt in der EU durch eine starke soziale Regulierung des Europäischen Binnenmarkts und den gebotenen Ausbau des Wohlfahrtsstaats in den Mitgliedstaaten. „Es reicht aber nicht aus, nur die ‚gemeinsamen europäischen Werte‘ zu beschwören“, machte die Abgeordnete deutlich.
Nach den gescheiterten Referenden zur EU-Verfassung in Frankreich und Niederlanden will nun auch das Europäische Parlament offenbar die Menschen beruhigen. Zwar erkenne die Mehrheit der Parlamentarier an, dass die Bürgerinnen und Bürger in der EU sich zunehmend um Arbeitslosigkeit, Armut und wirtschaftliche Unsicherheit sorgen. Doch haben diese längst erkannt, dass die vom Bericht gefeierte „neue Lissabon-Strategie“ der EU den Interessen der Unternehmer und Vermögenden dient, wie Eurostat-Umfragen in den letzten Monaten belegten.
„Die freundlich klingenden Schlagworte von der ‚Modernisierung des Europäischen Sozialmodells‘ und den ‚Strukturreformen‘ stehen im wirklichen Leben für Sozialstaatsabbau und Umverteilung zugunsten von Unternehmern und Vermögenden. Dem widerspenstigen Publikum soll mit dem Bericht nun weisgemacht werden, dass die verschärfte Umsetzung der erfolglosen marktliberalen Radikalkur, der neuen Lissabon-Strategie, Arbeitsplätze und soziale Wohlfahrt in der Zukunft (Globalisierung, demografischer Wandel) sichern helfen. Ganz so, als hätte es die ernüchternden Erfahrungen mit gut 20 Jahren Liberalisierungspolitik in der EU nicht gegeben“, argumentierte Gabriele Zimmer.
Statt auf konkrete Schritte zur Stärkung und solidarischen Erneuerung des Wohlfahrtsstaats in der EU zu drängen, beschwöre man zusammen mit Kommission und Rat die „abgegriffene Formel von Flexibilität und Sicherheit“ (Flexicurity). Die Praxis in den Mitgliedstaaten habe aber längst offenbart, dass weniger Kündigungsschutz, mehr Mini- und Midi-Jobs mit Kombi- und Niedriglohn oder mehr Druck auf Arbeitslose („Förderung und Fordern“) vielleicht die Flexibilitätsspielräume der Unternehmen im Arbeitsmarkt erhöhen, aber keineswegs die soziale Sicherheit der Menschen fördern. „Flexicurity bleibt eine hohle Phrase“, schlussfolgerte Frau Zimmer, „ihr soziales Versprechen unerfüllt“.
Zimmer machte allerdings auch deutlich, dass Anstöße für ein soziales Europa von der großen Koalition des „Weiter so!“ im Europäischen Parlament auch kaum erwartet werden durfte. „Die EP-Mehrheit traut sich aber noch nicht einmal, ihre eigenen Forderungen von vor rund einem Jahr zum sozialpolitischen Aktionsprogramm der EU nochmals zu bekräftigen. Wo bleiben die damaligen Forderungen nach gesetzlichen Initiativen der Kommission zum Schutz von Arbeitnehmerrechten bei Restrukturierungen von Unternehmen oder individuellen Entlassungen, zum Sozialschutz bei neuen Beschäftigungsformen oder zu Mindeststandards beim Sozialschutz? Oder zu früheren Forderungen des Europäischen Parlaments zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben, zum Schutz vor neuen psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz, zu einem EU-Standard für Mindestlöhne usw.? Der vorliegende Bericht zum Europäischen Sozialmodell liegt weitgehend auf der neoliberalen ‚Reformlinie‘ von Kommission und Rat und ist so substanzlos wie letztlich überflüssig.“
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Anregungen für ein solidarisches und nachhaltiges Europäisches Sozialmodell haben wir im Themenheft „la gauche 2: Das soziale Europa“ zusammengestellt. Dieses enthält Beiträge aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Delegation der Linkspartei.PDS im Europäischen Parlament. Auf Anfrage senden wir Ihnen gerne ein Exemplar zu.
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