Auswärtiger Ausschuss des Europäischen Parlaments befürwortet mehrheitlich erhebliche Militarisierung
Zur heutigen Abstimmung des Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments über den Bericht „Über die Umsetzung der europäischen Sicherheitsstrategie im Kontext der ESVP“ (2006/2033(INI) verantwortet von Karl von Wogau (CDU – EPP-ED, Vorsitzender des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung) erklärt der Europaabgeordnete der Linksfraktion (GUE/NGL) Tobias Pflüger, Mitglied des Auswärtigen Ausschuss und Koordinator der Linksfraktion (GUE/NGL) im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung:
„Der mit 30 Ja-Stimmen und 9 Nein-Stimmen verabschiedete Bericht ‚von Wogau‘ ist ein zentrales Dokument über die Fortschreitung der Militarisierung der EU. Sichtbar wird dies u.a. in der Forderung, die Gelder innerhalb der EU für Militärausgaben und Rüstungsforschung erheblich zu erhöhen.“
Der Bericht ‚von Wogau‘ fordert sogar einen zweiten „virtuellen“ Haushalt der EU-Mitgliedstaaten für Militärausgaben, als Parallel-Haushalt zum EU-Haushalt. Damit würden die bisherigen Tricks bei der Finanzierung der EU-Militärpolitik (ATHENA-Mechanismus, Ad Hoc Haushalte u.a.) offen fortgeschrieben.
Der Bericht beschreibt auch die fatale, enge Verzahnung zwischen EU und NATO. Das Berlin Plus Abkommen, in dem der Zugriff der EU auf NATO-Kapazitäten geregelt wird, wird im Bericht ‚von Wogau‘ ausdrücklich begrüßt. Im Bericht wird für die militärische Luftüberwachung eine noch engere Verzahnung mit der NATO eingefordert.
Die Zuständigkeit für Militärpolitik wird im Bericht der EU und den Mitgliedstaaten zugeschrieben, was bzgl. der Militärstrukturen eine zusätzliche Ebene EU bedeutet.
Im Entwurf des Berichtes hatte es noch geheißen, „ist demgegenüber der Auffassung, dass die Europäische Sicherheitsstrategie zwar davon ausgeht, dass die erste Linie der Verteidigung im Ausland liegen kann, jedoch empfiehlt, dass präventive Militäreinsätze nur bei unmittelbar bevorstehenden und klar erkennbaren Bedrohungen zulässig sind.“ Dies wäre als eine offene Unterstützung des Präventivkriegskonzeptes zu lesen gewesen. Aufgrund meiner harten Kritik an dieser Forderung entschloss sich der Berichterstatter schlussendlich von dieser Formulierung abzusehen.
Den einzigen Bereich des Berichtes, den Tobias Pflüger für die Fraktion GUE/NGL mittragen konnte, waren Forderungen nach einer tatsächlichen parlamentarischen Kontrolle der EU-Militärpolitik. Pflüger: „Dass das EU-Parlament bis heute keine Möglichkeit hat, von den zuständigen Organen der EU verpflichtend Berichte z.B. über Militäreinsätze, deren konkrete Durchführung oder deren Finanzierung einzufordern, ist ein Skandal.“ Das „Politische und Sicherheitspolitische Komitee“ der EU, in dem die Botschafter der Mitgliedstaaten bei der EU oder ihre für Militärpolitik zuständigen Stellvertreter sitzen, ist die eigentliche Vor-Entscheidungsinstanz für EU-Militäreinsätze. „Eine echte parlamentarische Kontrolle der EU-Militäreinsätze ist nicht vorgesehen.“
Im Namen der Fraktion GUE/NGL brachte Tobias Pflüger ein Minderheiten-Votum zum Bericht ‚von Wogau‘ ein. Im Minderheiten-Votum kritisiert die Fraktion GUE/NGL u.a. die fortgesetzte Militarisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, die bewusste Vermischung von zivilen und militärischen Einsätzen, die Schaffung von EU Battle Groups, der Gendarmerie Force, der Schnellen Eingreiftruppen und selbstständigen EU-Kommandostrukturen nach dem Vorbild der NATO sowie die Militarisierung der EU-Außengrenze und die militärische Bearbeitung von ‚Problemen‘ mit Flüchtlingen.
Das Minderheiten-Votum wurde durch alle anwesenden und abstimmenden Abgeordneten der GUE/NGL-Fraktion unterstützt: Tobias Pflüger (Deutschland, AFET + Koordinator GUE/NGL im SEDE), Athanasios Pafilis (Griechenland, SEDE + Stellvertreter AFET), Willy Meyer-Pleite (Spanien, AFET + Stellvertreter SEDE), Erik Meijer (Niederlande, Stellvertreter AFET), Jaromir Kohlicek (Tschechien, Stellvertreter AFET).
Das vollständige Minderheitenvotum findet sich im Anhang. Hier auch als Link: http://tobiaspflueger.twoday.net/stories/2762871/. Hier der Link zum Berichtsentwurf: http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2004_2009/documents/pr/614/614115/614115de.pdf
Der Beschluss des Ausschusses wird erst nach Einarbeitung der beschlossenen Änderungsanträge zur Verfügung stehen. Danach wird der Bericht zur nächsten Plenartagung des Europäischen Parlaments vorgelegt, um dort erneut diskutiert und abgestimmt zu werden.
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Anhang:
Minderheiten-Votum vorgelegt von der Fraktion GUE/NGL (eigene Übersetzung aus dem Englischen)
Bericht über die Durchsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) im Kontext der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESDP)(2006/2033(INI))
Auswärtiger Ausschuss Berichterstatter: Karl von Wogau
Dem Bericht fehlt der Anspruch nach Frieden. Stattdessen wird mit ihm eine eindeutige Ausrichtung auf den Ausbau einer militarisierten EU gefordert.
Wir verurteilen
– die fortgesetzte Militarisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, was eine globale Bedrohung zur Folge hat,
– die weltweite Reichweite der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) und die Unterstützung der Strategie präventiver Kriegsführung (wie es im Berichtsentwurf formuliert war).
– die bewusste Vermischung von zivilen und militärischen Einsätzen,
– die Führung von Militäreinsätzen unter dem Deckmantel der Humanität
– die Schaffung von EU Battle Groups, der Gendarmerie Force, der Schnellen Eingreiftruppen und selbstständigen EU-Kommandostrukturen nach dem Vorbild der NATO,
– die Militarisierung der EU-Außengrenze und die militärische Bearbeitung von ‚Problemen‘ mit Flüchtlingen,
– die gegenwärtig in zivilen Haushalten versteckten Militärbudgets,
– die Überweisung unbekannter Beträge an die NATO als Bezahlung für die Nutzung von NATO-Strukturen durch die EU,
– die Schaffung der Europäischen Rüstungsagentur zur Verstärkung eines gemeinsamen Rüstungsmarktes mit dem Ziel der Bildung eines Militärisch-Industriellen Komplexes in der EU,
– die Nutzung des Wettbewerbes um Energieressourcen zur Rechtfertigung militärischer Interventionen
Wir fordern:
– eine zivile EU,
– eine unabänderliche Einhaltung internationalen Rechts und der UN Charta,
– die Schaffung einer EU-Abrüstungsagentur,
– die Umlenkung von Militärausgaben für zivile Zwecke,
– einen rechtsverbindlichen Verhaltenskodex für Rüstungsexporte der EU
Tobias Pflüger (D), Willy Meyer-Pleite (E), Athanasios Pafilis (GR), Erik Meijer (NL), Jaromir Kohlicek (CZ) für die GUE/NGL-Fraktion