Ein „proeuropäisches“ Nein zum Verfassungsvertrag

Francis Wurtz

Wenn Sie ehrgeizige Ziele mit Europa verbinden – werden einige von Ihnen fragen – warum sind Sie dann gegen diesen Verfassungsentwurf? Aus eben dem Grund, weil der Verfassungstext politische Weichenstellungen feierlich und dauerhaft verankert, die seit dem Vertrag von Maastricht sukzessive angehäuft wurden. Ich denke insbesondere an das Schlüsselprinzip der „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“; an das Statut und die Aufgaben der Europäischen Zentralbank, die liberaler nicht sein könnten; an die Machtbefugnisse der Kommission im Wettbewerbsbereich oder an die ausdrückliche Unterordnung jeder europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter die NATO-Politik.
Zu diesen alten Bestimmungen sind neue hinzugekommen. So enthält der Verfassungsentwurf einen Artikel, der ganz im Sinne des „Multilateralen Investitionsabkommen“ auf die „Beseitigung aller Restriktionen für ausländische Direktinvestitionen“ abzielt, aber auch andere, gefährlich zweideutig formulierte Artikel zur Patentierung von Leben oder zur kulturellen Vielfalt.
Auf all diesen Gebieten brauchen wir keine propagandistische Kampagne, die allen Widersprüchen aus dem Wege geht, sondern eine freie, öffentliche und pluralistische Aufarbeitung der Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben und die uns in eine Vertrauenskrise im Verhältnis zwischen den Bürger/innen und den europäischen Institutionen geführt haben. Der Bericht unserer Kollegen Corbett und Méndez de Vigo macht zu diesem Teil des Verfassungsentwurfs, der Politik und der Funktionsweise der Union beschreibt – und immerhin mehr als zwei Drittel des gesamten Textes ausmacht – keinerlei Aussagen.
Aus diesen Gründen lehnen wir den Bericht ebenso wie den Verfassungsentwurf selbst ab. Aber, das möchte ich unterstreichen, unser Nein ist für viele von uns offen für Alternativen. Es ist ein proeuropäisches Nein!
(Auszug aus der Rede des Vorsitzenden der Fraktion GUE/NGL, Francis Wurtz, in der Aussprache über den Bericht Corbett/Méndez de Vigo am 11. Januar 2005 in Straßburg)