Stabilitätspakt: Grundlegende Änderungen Fehlanzeige
Was lange währt, wird noch lange nicht gut. So lässt sich die Reform des Stabilitätspakts beschreiben, die beim EU-Gipfel Ende März in Brüssel beschlossen wurde. Die als erfolgreiche Neuerung präsentierte Reform – erwartungsgemäß postwendend von der Wirtschaft als angebliche Gefährdung für den Standort EU mit großem Wehklagen kommentiert – entpuppt sich jedoch als weitgehend substanzlos. De facto ändert sich wenig. Die grundlegende Ausrichtung des Stabilitätspaktes wird beibehalten. Allein den Realitäten wird Rechnung getragen, die seit Jahren zu verzeichnen sind – dass nämlich die zu erfüllenden Stabilitätskriterien von immer weniger Staaten eingehalten werden können.
Nachdem Deutschland und Frankreich bereits dreimal in Folge gegen die Kriterien verstoßen hatten, Portugal sie gleichfalls nicht erfüllen konnte, Griechenland zugeben musste, dass es sich den Beitritt zum Euroraum mit frisierten Zahlen erschlichen hatte und auch Italiens Wirtschaftsstatistiken in Verruf geraten waren, musste etwas geschehen, um das ramponierte Image des Stabilitätspaktes aufzufrischen. Schließlich war es nur schwer zu vermitteln, dass trotz wiederholter Verstöße gegen den Pakt und blauer Briefe aus Brüssel die vorgesehenen Sanktionsmaßnahmen ausblieben – allerdings nach wie vor als Damoklesschwert am Himmel drohten.
Offiziell wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt geschaffen, um nach Einführung des gemeinsamen Währungsraums trotz des Verbleibs der Finanzpolitik in der Kompetenz der Nationalstaaten dauerhaft Preisstabilität zu sichern. Um diese zu erreichen, verpflichteten sich die Mitgliedstaaten dazu, die Neuverschuldung auf 3% des Bruttoinlandprodukts zu begrenzen und die Gesamtverschuldung nicht über 60% ansteigen zu lassen. Was dies in der Praxis heißt, zeigte sich bald: Der Verpflichtung auf Preisstabilität wurde die gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik untergeordnet. Um die Stabilitätskriterien trotz schwächelnder Konjunktur zu erreichen, waren massive Ausgabenbegrenzung und der Abbau öffentlicher Fördermaßnahmen notwendig. Damit setzte ein Teufelskreis ein: Weder wurde die Wirtschaft über die Binnennachfrage angekurbelt, noch stiegen die Staatseinnahmen über ein erhöhtes Steueraufkommen in ausreichendem Maße – letzteres wurde in Deutschland zusätzlich über Steuergeschenke an die Großunternehmen wirksam verhindert. Dies machte weitere Sparmaßnahmen notwendig. Auf diese Art und Weise fielen dem vom Stabilitätspakt auferlegten Sparzwang nach und nach grundlegende sozialpolitische Maßnahmen zum Opfer.
Anstatt jedoch seitens der EU-Regierungen einzugestehen, dass der Pakt in der vorliegenden Form nicht reformierbar ist und es in Zeiten der konjunkturellen Flaute nicht um Preisstabilität gehen kann, sondern darum gehen muss, eine andere Wirtschaftspolitik zu betreiben, anstatt also die Chance zu ergreifen, einen völlig neuen, anderen Pakt vorzuschlagen, schwor man sich in Brüssel erneut auf den Stabilitätspakt ein. Was als Reform präsentiert wurde, war nicht mehr als die offizielle Absegnung dessen, was bis dahin bereits praktiziert worden war: der Verzicht auf Sanktionen bei einem Verstoß gegen den Pakt, sofern stichhaltige Gründe vorliegen. Was die Bundesregierung darunter versteht, hatte sie bereits im Vorfeld unmissverständlich klar gemacht – garniert mit einem deutlichen Hinweis auf ihre hohen Nettozahlungen an die EU und die noch bevorstehenden Finanzverhandlungen. Und so war das Ergebnis dann auch ganz nach Wunsch von Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Eichel: Als Sonderbelastung, die einen Verstoß gegen die Stabilitätskriterien rechtfertigen, gelten neben Forschungsausgaben zukünftig auch die so genannten Kosten der deutschen Einheit. Darüber hinaus holte sich die Bundesregierung quasi den offiziellen EU-Segen für ihre Sozialkahlschlagspolitik. Maßnahmen für Strukturreformen gehören ebenfalls zu den mildernden Umständen.
An der grundlegenden Zielsetzung des Stabilitätspakts wurde jedoch nicht gerüttelt. Der Pakt fügt sich weiterhin passgenau in das EU-Konzept der Schaffung einer Union ein, die vor allem das Wohl der Großkonzerne und die Zerschlagung des europäischen Sozialmodells im Sinne hat. Dass der Stabilitätspakt zum integralen Bestandteil des EU-Verfassungsvertrags avancierte, der die neoliberale Grundausrichtung der EU zementiert, unterstreicht dies zusätzlich: Preisstabilität findet sich sowohl in den Zielbestimmungen der EU (Artikel I-3) als auch als zentrales Element in den Ausführungen zur Wirtschafts- und Währungspolitik der Union (III-177ff.)
Vertan wurde in Brüssel die Chance, einen Pakt zu schaffen, der in der EU tatsächlich gebraucht wird: Einen Sozialpakt, der Armut und Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft und in dessen Mittelpunkt die Bedürfnisse der Menschen stehen und nicht die der Konzerne in Europa. Die jetzt beschlossene Reform des Stabilitätspakts ist nichts als eine kosmetische Maßnahme, die einzig dazu dient, ein verfehltes Konzept am Leben zu erhalten.