Ein Mosaiksteinchen verbesserter Sozialstandards für Berufskraftfahrer
Das Europäische Parlament hat kürzlich in zweiter Lesung das Gesetzespaket zur Verbesserung von Sozialbedingungen für Berufskraftfahrer verabschiedet und sich darin deutlich für die Anhebung der Sozialstandards im Verkehrsbereich ausgesprochen. Das Gesetzespaket besteht aus der Verordnung zu den Ruhe- und Lenkzeiten von Berufskraftfahrern sowie der Richtlinie zur Kontrolle der Einhaltung der Ruhe- und Lenkzeiten in der Europäischen Union. Die gemeinsame Verabschiedung dieser beiden Dossiers ist bereits ein Erfolg des Europaparlaments: Da eine einheitliche Regelung von Ruhe- und Lenkzeiten nur greifen kann, wenn auch die Kontrollen europaweit geregelt sind, hatte es sich immer für eine gemeinsame Behandlung der Dossiers stark gemacht und sich damit gegen Rat und Kommission durchgesetzt.
Das Parlament hat es nun geschafft, mit seinen Gesetzesvorschlägen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einer Verbesserung der Sozialbedingungen der Kraftfahrer, der Erhöhung der Verkehrssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen in Europa herzustellen.
Künftig sollen Kraftfahrer pro Tag maximal 9 Stunden und in einem Zeitraum von zwei Wochen maximal 90 Stunden fahren dürfen. Dabei darf die Fahrzeit auf die beiden Wochen unterschiedlich verteilt werden aber 56 Stunden pro Woche nicht überschreiten. Das entspricht zwar im Durchschnitt immer noch einer Wochenarbeitszeit von 45 Stunden, soll aber künftig als maximal zulässige Höchstzeit in der Europäischen Union gelten, was in vielen, insbesondere osteuropäischen EU-Mitgliedsländern einer Reduzierung der Arbeitszeit gleichkommt und damit die Situation der Kraftfahrer verbessert. Regelungen von Ländern mit höheren Sozialstandards, wie Frankreich mit seiner 35-Stunden-Woche, werden davon nicht angetastet. Die tägliche Ruhezeit für die Fahrer soll nach Vorstellungen des Parlaments 12 Stunden am Stück betragen. Ein weiteres Plus des Parlamentsvorschlages: die Regelungen sollen für alle Fahrer auf dem Territorium der EU gelten, also auch für Fahrer aus Drittstaaten. Damit kann Sozialdumping in der EU vorgebeugt werden.
Ein weiterer Erfolg der Parlamentsabstimmung, über den ich mich persönlich sehr freue: Alle Arbeitszeiten sollen in die Verordnung zu den Ruhe- und Lenkzeiten einbezogen werden. Zu den Aufgaben der Kraftfahrer gehört häufig nicht nur das Fahren, sondern auch das Be- und Entladen der Fahrzeuge oder Wartungsdienste. Dies alles bedeutet zusätzliche Arbeitszeit, die nach dem alten Gesetzesentwurf der Kommission nicht berücksichtigt werden sollte. Das Parlament fordert außerdem folgerichtig, die Kontrollen über die Einhaltung der Ruhe- und Lenkzeiten künftig nicht nur auf den Straßen durchzuführen, sondern bei Betriebskontrollen in den Fuhrunternehmen auch die Einhaltung der Arbeitszeiten, Urlaubs- und Krankheitstage zu kontrollieren.
Zu den positiven Ergebnissen der Abstimmung gehört weiterhin, dass Verkehrsunternehmen im Falle von Verstößen künftig mithaften und Bußgelder und Strafen nicht mehr ohne weiteres auf die Fahrer abwälzen dürfen. Um sicher zu gehen, dass alle Beteiligten wissen, wovon sie überhaupt reden, hat das Parlament eine Reihe von Definitionen verabschiedet, so zum Beispiel eine Definition von schweren Verstößen – das hatte die Kommission versäumt. Das Parlament hat auch Regelungen zur Dichte von Straßen- und Betriebskontrollen getroffen: Über eine Staffelung sollen die Kontrollen in Europa auf 4% erhöht werden. Um Kontrollen wirkungsvoll und technisch einfacher zu machen, spricht sich das Parlament für den baldigen Einsatz von digitalen Tachographen aus. Ab 2006 sollen LKW europaweit damit bestückt werden, die Anwendung soll ab 2007 Pflicht für alle Fuhrunternehmen sein.
Leider sind mit der Abstimmung im Plenum auch einige sehr sinnvolle Regelungen einer konservativ-liberalen Mehrheit zum Opfer gefallen. Zu meinem großen Bedauern sind Fahrzeuge von unter 3,5 Tonnen aus dem Geltungsbereich der vorliegenden Verordnung und Richtlinie gestrichen worden, obwohl Kleintransporter heute zu den häufigsten Unfallverursachern auf den Straßen gehören. Es fehlten nur wenige Stimmen für die erforderliche absolute Mehrheit. Dies ist auf das aggressive und leider erfolgreiche Lobbying einiger Expressdienstleister wie UPS und FedEx zurückzuführen. In den Tagen vor der Abstimmung machten sie massiven Druck auf konservative und sozialdemokratische Abgeordnete. Einige KollegInnen, die noch im Ausschuss anders abgestimmt hatten, ließen sich davon in letzter Minute beeindrucken. Diese Erfahrung ist im Parlament keine Seltenheit und stellt uns wiederholt vor die Frage, wer in Europa eigentlich die Politik macht.
Eine andere Abstimmungsniederlage der parlamentarischen Linken war, dass die Sozialpartner nun doch nicht, wie vom Verkehrsausschuss vorgeschlagen, bei der Durchführung der Verordnung zu den Ruhe- und Lenkzeiten konsultiert werden müssen. Auch hier setzte sich die konservativ-liberale Parlamentsmehrheit durch.
Dennoch ist die Verabschiedung des Ruhe- und Lenkzeitendossiers insgesamt als ein Erfolg zu bewerten. Die Gesetzesvorlagen von Kommission und Rat sind entscheidend verbessert worden. Da der Rat nicht gewillt sein wird, die Parlamentsvorlage widerspruchslos zu übernehmen, werden wir mit beiden Gesetzen in den Vermittlungsausschuss (Conciliations) gehen. Dies wird nicht einfach, da der Verhandlungspartner des Parlaments ab dem Sommer die britische Ratspräsidentschaft sein wird, die bekanntlich nicht für eine arbeitnehmerfreundliche Sozialpolitik steht. Doch das Parlament steht fraktionsübergreifend hinter dem verabschiedeten Vorschlag und hat dem Rat deutlich zu verstehen gegeben, dass das Dossier schnell zum Abschluss gebracht werden soll. Allzu präsent ist bei vielen Abgeordneten noch die Verzögerungstaktik des Rates in der ersten Lesung im Jahre 2002.