Zeitenwende in Europa

Helmuth Markov, Andreas Wehr

Das Non in Frankreich und das Nee in den Niederlanden hat Europa schlagartig verändert. Viel mehr ist geschehen als „nur“ die Ablehnung des Verfassungsvertrages. Die klaren Entscheidungen können Ausgangspunkt für ein anderes Europa werden. Die herrschende neoliberale Ausrichtung der europäischen Politik steckt in der Krise. Die Linke hat in den jeweiligen Kampagnen gegen den Verfassungsvertrag eine wichtige Rolle gespielt. In Frankreich war es die Kommunistische Partei, die bereits früh über die neoliberalen und die weitere Militarisierung Europas begünstigenden Inhalte der geplanten Verfassung informierte. Aber auch die Mehrheit der sozialistischen und grünen Wähler stimmte mit Nein. Am Ende waren es mehr als 15.422.000 Bürgerinnen und Bürger, die sich hinter dem Non versammelten. Entscheidend ist, dass sich in den Kampagnen viele Menschen intensiv mit den Angelegenheiten der Europäischen Union beschäftigten. Unzählige Diskussionsveranstaltungen fanden statt. Über Wochen waren die Spalten der Tageszeitungen mit Analysen der Verfassung gefüllt. Fachliteratur über Europa führte die Bestsellerlisten an. Die Referenden in Spanien, Frankreich, den Niederlanden und jetzt in Luxemburg haben zu einer beispiellosen Aussprache der Völker über europäische Angelegenheiten geführt. Vor diesem Hintergrund wiegt es um so schwerer, dass der deutschen Bevölkerung die Möglichkeit zur Abstimmung verweigert wurde. Weder die rotgrüne Bundesregierung noch die CDU/CSU-Opposition hatten jemals ein ernsthaftes Interesse daran, dies mit Hilfe einer Grundgesetzänderung möglich zu machen. Und dennoch wuchs in den letzten Monaten das Interesse an dem Verfassungsvertrag auch in der Bundesrepublik. Überall, wo die Inhalte des Verfassungsvertrages näher bekannt wurden, wuchs auch die Ablehnung. Dieses Interesse und diese Politisierung müssen wach gehalten werden. Es geht um die Beibehaltung der Dynamik der Infragestellung des neoliberalen Europas. Die Linke hat daher kein Interesse, dass die noch ausstehenden Referenden in verschiedenen Mitgliedstaaten abgesetzt werden. Denn nur aus der Mobilisierung der breiten Bevölkerungsmassen kann Neues entstehen, kann die so dringend notwendige Kursänderung der europäischen Politik durchgesetzt werden. Die PDS-Delegation im Europäischen Parlament wird die vom Europäischen Rat ausgerufene „Zeit der Reflexion“ nutzen, die auf europäischer Ebene betriebene Politik zu kritisieren, und sie wird zugleich aufzeigen, dass Alternativen dazu möglich und realisierbar sind.