Wie weiter mit der EU-Verfassung?

Auf dem Brüsseler EU-Gipfel wurde aufgrund des französischen und niederländischen Nein vereinbart, den Ratifizierungsprozess der Verfassung mit einer „Denkpause“ zu verbinden. Auf einem Sondergipfel im Juni 2006 soll dann entschieden werden, wie es weitergeht – und das ist derzeit völlig offen. Eindeutig ist hingegen, dass der neoliberale europäische Mainstream, aber auch jener schräge Chor diverser Europagegner, die die EU lieber heute als morgen zum Teufel jagen würden, die eigentlichen Gewinner des Nein sind. So wurde Tony Blair, der „Meister des Liberalismus“ in Europa, in den Sattel gehievt. Er ist angetreten, um den politischen Rückbau der EU zu organisieren, und zwar hin zu einer gut geölten Freihandelszone mit beschränkter sozialer Haftung. Profiteure des Nein sind das Kapital und die Multis, die die Verfassung eh nie wollten und nun beginnen, sie zu filetieren. Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburgischen Welt-Wirtschafts- Archivs, brachte das in der „Welt“ vom 21. Juni auf den Punkt: „Mit der Verfassung wären wir zum heutigen Zeitpunkt über das Ziel hinausgeschossen. Aus Sicht der Wirtschaft haben wir in der Tat genug Europa. Der Binnenmarkt und die Wirtschafts- und Währungsunion reichen aus. Mehr Europa hieße mehr Harmonisierung und damit weniger Wettbewerb“. In der Tat benötigt das Big Business nur den selbstgesteuerten Binnenmarkt, den einst Maggi Thatcher maßgeblich vorantrieb. Deutsche Bank, Europäische Zentralbank und liberale Vorreiter wie Graf Lambsdorff hatten stets beklagt, dass die Verfassung ordnungspolitisch gefährlich sei, zu viele soziale Anspruchsrechte enthalte, die Tarifautonomie stärke und überzogenen Sozialstandards das Wort rede. Diese „Giftzähne“ können nun entfernt werden. FDP-Chef Westerwelle müsste sich dann nicht mehr vor einer „sozialistischen Verfassung“ fürchten. Das alles wird auf Kosten der arbeitenden Menschen gehen, zumal Blair vor allem den Arbeitsmarkt deregulieren will. Die EU soll ein marktliberaler Wirtschaftsstandort mit engen Bindungen an die USA werden. Eine Verfassung, die auf demokratische Gestaltungsmacht abzielt sowie auf Sozialpolitik und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten orientiert, stört dabei nur. Mit dem neoliberalen Durchmarsch winken Manchester-Kapitalismus sowie eine protektionistische Restdemokratie. Umschrieben wird das als Deregulierung – und von Blairs Chorknaben in CDU/CSU und FDP bereits populistisch als Kampf gegen Brüsseler Bürokratie und Zentralismus sowie eine ausufernde Erweiterung verkauft. Was dabei von der Verfassung übrig bleibt, ist absehbar – solange die Linke nicht bereit ist, wenigstens ihre Fortschritte zu verteidigen.