Streitfall ungesüßt – Die EU und der Zucker.

Helmuth Markov,Helmuth Markov und Anne Quart

Am 1. Juli 2006 läuft die gegenwärtige EU-Zuckermarktordnung aus. Zuckerproduktion war für europäische Landwirte bislang eine sichere Bank. Der EU-Zuckerpreis ist dreimal höher als auf dem Weltmarkt, europäische Produzenten erhalten Erzeugersubventionen und einen garantierten Absatz ihrer Produkte per Quotenregelung. Hinzu kommen Exportsubventionen bei der Ausfuhr, mit der EU-Überproduktion abgesetzt wird.
Gleichzeitig ist Zucker der Hauptwirtschaftsfaktor vieler Entwicklungsländer. Seit den 70er Jahren unterstützt die EU Zuckerproduzenten in den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) und Indien und importiert jährlich 1,3 Millionen Tonnen Zucker, etwa 8 Prozent des EU-Binnenverbrauchs, zu Garantiepreisen über dem Weltmarktpreis. Hinzu kommen Zuckerimporte im Rahmen der Initiative „Alles außer Waffen“ aus den so genannten LDC (Least Developed Countries).
Angesichts ständig sinkender Weltmarktpreise hat derart protektionistische Politik gegenüber europäischen und AKP-Bauern durchaus ihre Berechtigung. Hauptpreisdrücker ist gegenwärtig das brasilianische Agrobusiness, das auf Kosten der sozialen Situation der Arbeiter, der indianischen Bevölkerung, der Kleinbauern und der Umwelt expandiert.
Durch ihre Verpflichtungen im Rahmen der WTO steht die EU nun unter Druck, ihre Zuckermarktordnung ändern zu müssen. Nach WTO-Verständnis wirkt das System „wettbewerbsverzerrend“, sozial- und umweltpolitische Belange und Fragen der Nachhaltigkeit spielen keine Rolle. Doch nicht nur äußerer Druck zwingt die EU zu „Reformen“. Im Zuge der EU-Liberalisierungsagenda steht früher oder später jede Art von Regulierung auf der Abschussliste.
Das neue Zuckersystem
Der EU-Preis von jetzt 632 Euro pro Tonne soll um ein Drittel gesenkt werden, Quoten gekürzt und eine Quotenübertragung ähnlich dem CO2-Handel möglich sein. Zur Kompensation der Einnahmeausfälle europäischer Landwirte soll es Beihilfen von bis zu 60 Prozent der Preiskürzungen geben, eingebettet in die Betriebsprämienregelung. Für Betriebsumstellungen, auch Schließungen, soll es finanzielle Zuschüsse geben.
Dies aber stößt den meisten Produzenten bitter auf. Es ist absehbar, dass die neue Zuckerordnung zu einer Neuorganisation der europäischen Erzeugerstrukturen führen wird. Es muss mit zahlreichen Betriebsschließungen und einer Konzentration der Produktion auf einige wenige Standorte gerechnet werden. Viele Regionen werden die Produktion aufgeben müssen. Gleichzeitig leistet die geplante Reform einer internationalen Monopolisierung der Produktion durch Zuckergiganten wie Brasilien Vorschub.
Auch in den Entwicklungsländern werden viele Produzenten zum neuen EU-Preis nicht mehr anbauen können, denn Ausgleichszahlungen sind für sie nicht vorgesehen. Die Entwicklungsländer fühlen sich von der EU, die sie zur Zuckerproduktion ermuntert hatte, verraten. Da auch die Bananenquote in ähnlicher Weise abgebaut werden soll, droht einigen Entwicklungsländern der Kollaps im Landwirtschaftssektor.
Reform im Sinne aller möglich?
Die alte Zuckermarktordnung ist in der Tat reformbedürftig. Die Exportsubventionen für EU-Zucker werden, wie die systematische Ausfuhr europäischer Überproduktion zu gestützten Preisen, zu Recht kritisiert.
Ziel einer neuen Ordnung muss es sein, ein Preisniveau zu garantieren, dass sowohl den Erzeugern der Gemeinschaft, als auch jenen in AKP- und LDC-Staaten eine angemessene Vergütung bietet. Das hat auch das Europäische Parlament in einer Entschließung vom 10. März 2005 gefordert. Ein angemessener Referenzpreis muss zudem an klare sozial- und umweltpolitische Auflagen für alle Erzeuger, die von Abnahmegarantien profitieren wollen, gekoppelt sein. So kann eine Monopolisierung der Zuckerproduktion zu Dumpingbedingungen verhindert, soziale und ökologische Produktionsbedingungen in Entwicklungsländern verbessert werden. Über eine Mengenregulierung kann sowohl ein hoher Eigenversorgungsgrad in der EU, als auch ein größerer Marktzugang für Entwicklungsländer gesichert werden.
Mit der gezielten Förderung alternativer Verwertungen von Zucker, z.B. Bioethanol als alternativer Kraftstoff, würden sich neue Absatzmöglichkeiten auftun. Zudem müssen Landwirte bei der Umstellung auf zukunftsfähige und nachhaltige Produkte, beispielsweise bei der Erzeugung von Biomasse zur alternativen Energiegewinnung, unterstützt werden.
Die EU sollte sich für eine Zuckermarktordnung stark machen, die auf nachhaltige, regionale Entwicklungen im Zuckersektor sowohl in den entwickelten, als auch den Entwicklungsländern orientiert. Dafür auch in der WTO Verbündete zu finden, dürfte so schwer nicht sein. Das Argument der Schaffung von Handelssystemen, die der Förderung von Entwicklung dienen, zieht auch in der WTO, die sich – zumindest auf dem Papier – eine „Entwicklungsagenda“ gesetzt hat.